Die Sprache der Macht
seelische Gesundheit hängt unter anderem davon ab, dass wir unser Tun als wirksam empfinden, dass wir eben nicht ohnmächtig alles über uns ergehen lassen müssen. Hin und wieder verschaffen wir alle uns dieses Glück über ein „kleines Machterlebnis“ – auch so charakterlich integre Menschen wie Sie und ich. Dieses kleine Machterlebnis besteht in nichts anderem als in der wohltuenden Gewissheit: „Dies ist nur geschehen, weil ich das so wollte .“ Genau das kennzeichnet nämlich Macht: Dass man seinen Willen durchsetzt, auch wenn ihm das Gegenüber zunächst nicht folgen will. So konstatiert der Soziologe Max Weber in seiner viel zitierten Definition: „ Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ In diesem Sinne gibt es Macht in jeder erdenklichen Größe und Spielart.
Manchmal zeigt sie sich auch darin, dass uns jemand hindert, etwas Bestimmtes zu tun. Dafür gibt es vielleicht keinen anderen Grund, als dass er gegen unser „Widerstreben“ seinen Willen durchzusetzen vermag. Ein Wille, der einzig darin besteht, uns einen möglichst dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Sie sollten die Genugtuung, die solche kleinen Machterlebnisse einem anderen verschaffen, niemals unterschätzen – vor allem, wenn es sich um jemanden handelt, dem sonst wenig Raum zur persönlichen Machtentfaltung bleibt.
Doch nicht nur, wenn wir selbst in ihren Genuss kommen, empfinden wir Macht als etwas Positives. Häufig bringen wir denen, die wir für mächtig halten, Achtung und Respekt entgegen, auch dann, wenn wir gar nicht so viel über sie wissen. Wir werten sie noch einmal auf – und zwar durchaus im eigenen Interesse. Wir erwarten, dass sich der Mächtige durchsetzen wird und stellen uns schon mal auf die richtige Seite. Opportunismus lautet das unfreundliche Wort dafür. Doch auchwenn diese Methode in keinem besonders hohen Ansehen steht – sie ist allgemein üblich und hält die zwischenmenschlichen Beziehungen, sagen wir einmal: geschmeidig. Wir versuchen unbewusst, unseren Willen an den des Mächtigen gewissermaßen „anzudocken“. Und wenn uns das gelingt, dann strahlt ein wenig von seinem Glanz auch auf uns ab. Er setzt sich durch – und wir haben das ja auch irgendwie „gewollt“. Zudem: Jemandem zu folgen, von dem wir annehmen, dass er seine Macht auch verdient hat, fällt uns deutlich leichter.
Tatsächlich haben wir eine starke Neigung, Menschen zu idealisieren, denen wir Macht zuschreiben – wodurch sich deren Macht noch vergrößert und ihre Konkurrenten und Kritiker regelrecht ins Abseits geraten. In einzelnen Fällen kann daraus eine bedenkliche Eigendynamik erwachsen. Sie kann manch einen sogar dazu verleiten, sich den Anschein von Macht zu geben, um eben diese Macht erst zu gewinnen.
Aber die Verklärung der Macht ist eben nur die eine Seite. Andererseits hat Macht nämlich immer auch etwas Anrüchiges, ja, Macht liegt in unseren Köpfen so nahe am Machtmissbrauch, dass die beiden Begriffe häufig geradezu synonym gebraucht werden: Wer offen nach Macht strebt, ist in unseren Augen verdächtig. Er gilt als rücksichtslos und egoistisch. So jemandem möchte man sich nicht ausliefern. Man geht ihm lieber aus dem Weg oder versucht sogar ihm zu schaden. Scheitert ein Machtmensch, dann erntet er weniger Mitleid als unverhohlene Schadenfreude. Auf Sympathie und Vertrauen kann er nicht bauen. Dabei wäre beides von großem Nutzen, um den eigenen Willen durchzusetzen – und darum geht es ja schließlich bei der Macht. Hat so ein Machtmensch womöglich weit weniger Macht, als er denkt, weil ihm die Herzen der anderen verschlossen bleiben? Und kann jemand, der auf den ersten Blick keinerlei Machtambitionen zeigt, einen Nutzen daraus ziehen? In manchen Fällen ist das wohl so. Und doch müssen auch diejenigen, die auf leisen Sohlen an die Hebel der Macht gekommen sind, recht schnell den Schalter umlegen und sich machtbewusst zeigen – auf die eine oder andere Art.
Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Warum erscheint uns Macht einmal so attraktiv – und mit ihr die Menschen, die über Macht verfügen – und dann wieder so abstoßend? Die Antwort hat mit uns selbst und unserer Position zu tun: Was wir anerkennen und bewundern, das ist die arrivierte Macht, an die wir nicht heranreichen, die auf unserer Seite steht oder mit der wir uns zumindest arrangiert haben. Dann sehen
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