Die Spur der Hebamme
Christian immer wieder. Und sie brauchte diesen Schutz, wenn er nicht da war. Deshalb bestand er unerbittlich darauf, dass sie auch bei der Krankenpflege wie eine Edelfrau gekleidet war.
Dabei mochte sie es nicht, die Herrin herauszukehren. Im Grunde ihres Herzens fühlte sie sich immer noch als einfaches Mädchen und nicht als Herrin, und es befremdete sie, wenn sich ihre früheren Gefährten vor ihr verneigten oder gar niederknieten.
Macht war ein zweischneidiges Schwert. Sie konnte leicht den verderben, der sie ausübte.
Marthe schob den Gedanken beiseite, wie sie wohl das kostbare Kleidungsstück in den engen, verrauchten Katen der Bauern und Bergleute sauber halten sollte. »Danke«, sagte sie leise, gerührt von seiner Sorge um sie. Dann blickte sie ihren Mann ernst an. »Was ist es wirklich, das dich bedrückt? Abgesehen davon, dass du bald wieder fortmusst und einmal mehr für Otto die Eisen aus dem Feuer holen sollst?«
Christian starrte für einen Moment ins Leere.
»Wir hatten jetzt drei friedliche, glückliche Jahre«, begann er und richtete den Blick auf seine junge Frau. »Möglich, dass die ruhige Zeit bald vorbei ist.«
Fragend blickte Marthe ihn an.
»Markgraf Otto hat Nachricht erhalten, dass Heinrich der Löwe Anfang des Jahres von seiner Pilgerfahrt aus dem Heiligen Land zurückgekehrt ist«, berichtete Christian. »Es heißt, die Braunschweiger hätten ihn und die fünfhundert Ritter seines Gefolges mit Jubel empfangen. Er soll wertvolle Reliquienmitgebracht haben und will nun eine prächtige Stiftskirche bauen. Und es heißt auch, er sei unterwegs überall wie ein König oder Kaiser empfangen worden.«
Marthe begriff sofort, was das bedeuten konnte.
Vor sieben Jahren hatte sich Markgraf Otto gemeinsam mit vielen anderen Fürsten und hohen Geistlichen einer Rebellion gegen Heinrich den Löwen, den mächtigen Herzog von Sachsen und Bayern, angeschlossen. Christian und sie waren dabei gewesen, als der Kaiser bei einem Hoftag in Würzburg die Aufständischen beschuldigte, seinen mächtigsten und treuesten Vasallen angegriffen zu haben. Nur weil die Gegner des Löwen damals einem brüchigen Frieden zugestimmt hatten, waren sie ohne Strafe davongekommen.
»Aber die meisten Anführer der Rebellion sind tot: Albrecht der Bär, Ludwig von Thüringen, Christian von Oldenburg … Denkst du, dass es trotzdem wieder zum Krieg kommt?«, fragte sie leise.
»Heinrich hat durch seine Pilgerfahrt noch an Macht und Einfluss gewonnen. Über kurz oder lang wird es gerade deshalb neuen Streit geben – zwischen ihm und den Fürsten, und vielleicht auch zwischen ihm und dem Kaiser.«
Marthe schloss für einen Moment die Augen. Vor sich sah sie die niedergebrannten Dörfer, die Berge von verstümmelten Kinder- und Frauenleichen, die toten Männer, die jene grausam geführte Fehde gekostet hatte. Musste Christian bald in den Krieg ziehen? Und würden die plündernden, brandschatzenden Horden diesmal auch hierherkommen? Denn nun war Christiansdorf nicht mehr ein unbekannter Weiler mitten im Dunklen Wald, sondern weithin bekannt für seinen Silberreichtum.
»Das ist immer noch nicht alles, was du mir sagen wolltest«, bohrte sie.
»Nein.« Christian holte tief Luft, bevor er weitersprach.
»Ottos Spione berichten, dass im Gefolge des Braunschweigers auch ein Meißnerischer Ritter von edlem Geblüt aus dem Heiligen Land zurückgekommen sein soll.«
Marthe sank auf ihrem Schemel in sich zusammen, obwohl sie längst mit dieser Nachricht gerechnet hatte.
Randolf war zurück. Der Mann, der sie gemeinsam mit seinen Kumpanen entführt und brutal geschändet hatte, als sie kaum vierzehn Jahre alt gewesen war, der Christian unter falscher Anklage gefangen und beinahe zu Tode gefoltert hatte und der von Otto für seine Missetaten lediglich zu einer Pilgerfahrt geschickt worden war. Aber um sie zu schützen, hatte Christian nach Ottos Richtspruch schweren Herzens darauf verzichtet, Randolf zum Zweikampf zu fordern und stattdessen Marthes Erhebung in den Stand einer Edelfreien erbeten.
Christian griff nach ihrer Hand, die auf einmal eiskalt geworden war, und legte sie an seine Brust, um sie zu wärmen. »Vielleicht ist er es nicht. Und wenn doch, ist er vielleicht in den Dienst des Löwen getreten. Wäre er sonst nicht zuerst nach Hause geritten, um seine Frau und seinen Sohn zu sehen?«
Sie wussten beide, dass Randolf unmittelbar vor seiner Abreise ins Heilige Land eine junge Witwe geheiratet hatte, um seine
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