Der Geschichtenverkäufer
M ir raucht der Kopf. Ich gehe mit Hunderten von neuen Ideen schwanger. Und ständig drängen neue nach.
Bestenfalls kann ich diese Gedanken kontrollieren, aber gar nicht zu denken ist mir unmöglich. In mir brodelt es von witzigen Formulierungen, ich kann sie kaum festhalten, ehe sie von neuen Einfällen verdrängt werden. Es gelingt mir nicht, einen Gedanken vom anderen zu trennen.
Ich kann mich nur selten daran erinnern, was ich gerade gedacht habe. Ehe ich mir über einen Einfall Gedanken machen kann, wird er schon in einen besseren umgegossen, aber auch der ist von so flüchtiger Natur, daß ich ihn nur mit Mühe aus den Eruptionen immer neuer Ideen zu retten vermag ...
Wieder füllt ein wildes Stimmgewirr meinen Kopf. Ich komme mir vor wie heimgesucht von einem wütenden Schwarm von Seelen, die in meinen Gehirnzellen eine Art Kaffeeklatsch abhalten. Mir fehlt die nötige Seelenruhe, um sie alle zu beherbergen, also muß ich einige davon loswerden. Ich leide unter einem beträchtlichen geistigen Überschuß und muß mich deshalb immer wieder entleeren. In regelmäßigen Abständen nehme ich Papier und Bleistift zur Hand und beginne einen gedanklichen Aderlaß .
Als ich vor einigen Stunden aufwachte, war ich davon überzeugt, die allerzutreffendsten Aussagen über das Leben formuliert zu haben. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, aber ich habe dem jungfräulichen Aphorismus in meinem Notizbuch den gebührenden Platz eingeräumt. Ich bin davon überzeugt, daß ich ihn gegen ein schönes Essen eintauschen kann, und wenn ich ihn an jemanden verkaufe, der sich schon einen Namen gemacht hat, findet er vielleicht sogar seinen Weg in die nächste Auflage der Geflügelten Worte.
Ich weiß jetzt endlich, was ich werden will. Ich werde weiter das machen, was ich immer getan habe, aber von nun an will ich davon leben. Ruhm interessiert mich nicht, aber er ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß ich sehr reich werde.
Voller Wehmut blättere ich in dem alten Tagebuch. Die Eintragungen stammen vom 10. und 12. Dezember 1971, damals war ich neunzehn. Maria war einige Wochen zuvor nach Stockholm gegangen, sie war damals seit drei oder vier Wochen schwanger. In den folgenden Jahren begegnete sie mir noch einige wenige Male, aber inzwischen habe ich sie seit sechsundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, wo sie lebt, nicht einmal, ob sie lebt.
Jetzt sollte sie mich sehen. Ich mußte heute morgen das erstbeste Flugzeug nehmen und verschwinden. Der Druck von außen entsprach endlich einmal dem inneren Druck und es entstand eine Art Gleichgewicht. Ich kann jetzt klarer denken. Wenn ich mich vorsichtig verhalte, kann ich hier vielleicht noch einige Wochen leben, bis sich das Netz endgültig um mich zusammenzieht.
Ich kann froh sein, daß ich mit heiler Haut von der Buchmesse entkommen bin. Sie sind mir zum Flugplatz gefolgt, wissen aber kaum, welche Maschine ich genommen habe. Ich habe den ersten freien Platz gebucht, um aus Bologna herauszukommen. Aber Sie müssen doch wissen, wohin Sie wollen? Ich schüttelte den Kopf. Nur weg, sagte ich. Mit dem nächsten Flugzeug. Die Frau hinter dem Schalter schüttelte den Kopf, dann lachte sie. Von Ihrer Sorte gibt es nicht allzu viele, sagte sie, aber Sie können mir glauben, es werden ständig mehr. Und danach, als ich bezahlt hatte: Dann schönen Urlaub. Den haben Sie sicher verdient ...
Wenn sie die Wahrheit gewußt hätte. Geahnt, was ich verdient habe.
Zwanzig Minuten nach meiner Maschine ging ein Flug nach Frankfurt. Den nahm ich nicht. Sie glaubten sicher, ich wollte mit eingekniffenem Schwanz nach Oslo zurückkehren. Aber mit eingekniffenem Schwanz sollte man nicht unbedingt auf dem kürzesten Weg nach Hause laufen.
Hier unten habe ich mich in einer alten Pension am Meer einlogiert. Ich starre aufs Meer hinaus, auf einer Landspitze steht ein alter maurischer Turm. Ich sehe den Fischern in den blauen Booten zu, einige sind noch immer draußen und holen die Netze ein, andere steuern mit dem Fang des Tages bereits die Mole an.
Der Boden ist mit Keramikfliesen ausgelegt, die sich kalt anfühlen unter den Füßen. Ich trage drei Paar Socken, aber die helfen nicht viel. Wenn es so weitergeht, werde ich bald die Decke von dem breiten Doppelbett reißen und sie unter dem Schreibtisch zu einem Fußpolster zusammenfalten.
Ich bin rein zufällig hier gelandet. Der erste Flug hätte schließlich auch nach London oder Paris gehen können. Um so bedeutungsvoller
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