Die Spur des Boesen
Frau seufzte und lächelte verlegen. »Haben Sie mir nicht zugehört, Sir?«
»Ich habe zugehört«, antwortete Corso.
»Dann haben Sie gehört, dass ich >morgen Mittag< gesagt habe.« Sie zögerte. »Frühestens.«
»Ich muss unbedingt von hier weg.«
Sie hörte auf, sich mit dem Stapel Tickets Luft zuzufächeln, und blickte ihm widerwillig in die Augen.
»Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, sind alle Flüge auf unbestimmte Zeit abgesagt worden.«
»Ich hänge schon zwei Tage in dieser... dieser... Einrichtung fest.«
Sie seufzte. »Sir... bitte. Es ist für uns alle unangenehm, aber ich versichere Ihnen, dass sich an der Situation absolut nichts ändern lässt.« Zum Fenster deutend, schüttelte sie angewidert den Kopf und blätterte mit ihren eckigen, weiß lackierten Fingernägeln durch die Papiere. Corso schob die Hände in die Hosentaschen, wandte sich vom Schalter ab und trat ans Fenster.
Draußen wehte von Westen ein dünner Vorhang aus Schnee und Eis im Dreißiggradwinkel herein. Nichts sonst bewegte sich. Fuß- und Reifenspuren vom Tag lagen schon wieder unter dreißig Zentimeter frischem Schnee begraben, der die Rollbahn in ein dichtes, weißes, vom Wind geriffeltes Tuch verwandelt hatte.
Drinnen erinnerte der O'Hare International Airport an ein Flüchtlingslager. Alle ebenen Flächen wurden entweder von gestrandeten Reisenden oder ihrem Gepäck in Anspruch genommen. Fünfzig Meter weiter, am anderen Ende der Halle, gingen zwei Soldaten mit geschulterten Automatikgewehren im Zickzack zwischen den Wartenden hindurch, um hier und da ein Schloss zu prüfen oder in ein schlafendes Gesicht zu blicken.
Ihre Helme drehten sich gleichzeitig, als Meg Dougherty mit klackernden, hohen Schnürstiefeln um die Ecke bog, den schwarzen Umhang hinter sich aufgebläht wie ein Paar gespreizter Flügel. Was sie zu den beiden Jungs sagte, konnte Corso nicht verstehen. Der Größere der beiden salutierte und boxte seinem Kumpel mit dem Ellbogen in die Rippen. Der andere beugte sich hinüber und flüsterte seinem Kollegen etwas ins Ohr. Lächelnd stießen sie die Schultern aneinander und gingen weiter.
Im grellen Neonlicht sah sie aus wie eine Vampirkönigin. Oder vielleicht ein Todesengel. Reinstes Goth. Alles schwarz. Umhang, Strumpfhose, Stiefel, Nägel, Lippen und Haare. Mindestens eins achtzig. Diese mit Steroiden vollgepumpte Betty Paige durchschnitt die künstliche Luft wie ein Pfeil.
Ein leises Stöhnen zog Corsos Aufmerksamkeit auf den Fenstersims rechts von ihm, wo sich eine ältere Frau im Schlaf bewegte und ihre faltige Wange über den Speichel rieb, der aus ihrem Mund auf die Seite ihres karierten Koffers geflossen war.
Dougherty blieb neben Corso stehen und blickte hinaus in die winterliche Märchenlandschaft, bevor sie sich umdrehte und ihm einen wütenden Blick zuwarf. Er zog es vor, sich abzuwenden und mit frisch gewecktem Interesse in die eisige Nacht hinauszuspähen.
»Hat dir dein kleiner Ausflug gefallen?«, fragte er.
»Es geht doch nichts über einen Dauerlauf um einen Flughafen, um die Lungen durchzupusten.«
Er trat drei Schritte näher an die riesige Glasscheibe, die sie vom Schneesturm trennte. Legte seine Hand kurz darauf. Dougherty trat näher an ihn heran.
»Es war sehr informativ. Ehrlich.«
Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufmerken.
»Ach ja?«, hakte er nach.
»Also, zunächst einmal habe ich herausgefunden, dass wir wahrscheinlich nirgendwohin gehen.«
Corso blickte sie an. »Seit wann bist du der Wetterfrosch?«
»Wetterfee.«
»Von mir aus.«
»Seit ich in der Bar einen Meteorologen kennen gelernt habe.«
»Was du nicht sagst.«
»Netter Typ... heißt Jerry.«
»Jerry?«
»Meint, die Wetterlage nennt sich Inversionswetter läge. Meint, sie hätte Chicago in die Zange genommen.«
»Hmmm.«
»Meint, die Wetterlage hätte sich genau hier über dem Mittleren Westen festgesetzt.«
»Ach ja?«
»M-hm. Laut Jerry hat der Sturm einen Durchmesser von hundertsiebzig Kilometern und wird sich in absehbarer Zukunft keinen Millimeter von der Stelle bewegen.«
»Häh, hundertsiebzig Kilometer?«
»Das hat er gesagt.«
Corso ging wieder zum Schalter. Die Frau blickte ihn mit müden, rot umrandeten Augen an.»Sie werden doch nicht etwa Probleme machen, Sir, oder?«
»Was für Probleme?«
»Muss ich den Sicherheitsdienst rufen?«
»Warum sollten Sie das tun?«
»Weil Sie, Sir, der Einzige zu sein scheinen, der Probleme hat, die Lage zu begreifen.«
»Ich muss hier
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