Die Spur des Verraeters
Ausgestoßene, die als Scharfrichter dienten und sich nun bereitmachten, den Verurteilten zu enthaupten und seinen abgetrennten Kopf als Warnung an alle Möchtegern-Verbrecher an das Blutgerüst zu nageln.
»Nein!«, schrie der Gefangene. »Bitte, nein !« Er wand sich aus den Armen der eta und drehte sich mit flehentlichen Blicken zu den Gaffern um. »Ich bin kein Verbrecher! Ich habe nichts Böses getan! Ich habe diese Strafe nicht verdient!«
Der ängstliche Beobachter hätte sich beinahe die Hände auf die Ohren gepresst, um die verzweifelten Schreie nicht mehr hören zu müssen; am liebsten hätte er die Augen geschlossen, um sich den Anblick des von Todesangst erfüllten Samurai zu ersparen, den angesichts der schlimmsten Schande, die über einen Mann seines Standes kommen konnte, aller Mut verlassen hatte. Auch der Beobachter war Samurai und konnte den Gedanken nicht ertragen, diese bedeutsame Gemeinsamkeit mit dem todgeweihten Verurteilten zu besitzen.
Hufe klapperten, als der Statthalter von Nagasaki sein Pferd nach vorn trieb. »Der Gefangene, Yoshidô Ganzaemon, ist des Verrats schuldig«, verkündete er in ernstem, förmlichem Tonfall.
»Verrat?« Der Samurai gab seine Gegenwehr auf und blickte den Statthalter fassungslos an. »Ich bin kein Verräter. Ich habe dem Shogun mein Leben lang treu gedient.« Er hob die Stimme, in der Trotz und Unglaube mitschwangen. »Kein Beamter der Hafenpatrouille hat so hart gearbeitet wie ich! Stets habe ich mich freiwillig gemeldet, wenn zusätzlicher Dienst geleistet werden musste! Ich habe bei rauem Wetter mein Leben aufs Spiel gesetzt. Ich habe mich in den Kriegskünsten geübt, um meinem Herrn Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld bringen zu können, sollte dieser Tag jemals kommen. Und nie habe ich etwas getan, das dem Shogun oder dem Kaiserhof hätte schaden können! Wer das behauptet, ist ein Lügner!«
Doch die donnernde Stimme des Statthalters übertönte die Worte des Gefangenen. »Yoshidô Ganzaemon hat feige jenen Herrn beschimpft, dem er die höchste Pflicht und Treue schuldet. Er hat seine Hoheit, Shogun Tokugawa Tsunayoshi, als schwächlichen und dummen Narren bezeichnet.«
Der ängstliche Beobachter wusste, dass Yoshidô den Shogun tatsächlich so genannt hatte – bei einer wilden, ausgelassenen Feier im Vergnügungsviertel der Stadt, berauscht von den Zärtlichkeiten der Kurtisanen und vom Reiswein, der die Hemmungen beseitigt und die Zunge löst. In Nagasaki gab es mehr Spitzel als sonst wo in Japan, und alle waren ständig auf Posten, um auch die kleinsten Verstöße zu melden. Einige von ihnen hatten Yoshidôs unvorsichtige Äußerung mitgehört und ihm nun dieses schreckliche Schicksal beschert – wie zuvor schon vielen anderen.
»Ich habe es nicht so gemeint!«, rief Yoshidô verzweifelt. »Ich war betrunken und wusste nicht mehr, was ich sagte. Ich bitte tausend Mal um Vergebung!« Er versuchte sich zu verbeugen, doch die beiden eta hielten ihn mit eisernem Griff gepackt. »Ihr könnt mich doch nicht wegen eines einzigen kleinen Vergehens töten! Bitte !«
Niemand sagte ein Wort zu seiner Verteidigung, nicht einmal der ängstliche Beobachter, der den vorbildlichen Charakter und die makellose Dienstakte Yoshidôs kannte. Sich auf die Seite eines Verräters zu stellen würde bedeuten, die Schuld des Verbrechers zu teilen – und seine Strafe.
»Hiermit wird Yoshidô Ganzaemon wegen unehrenhaften Verhaltens zum Tode verurteilt.« Der Statthalter nickte den beiden Scharfrichtern zu.
Die Furcht des Gefangenen verwandelte sich in lodernde Wut. »Also verurteilt ihr mich als Verräter?«, rief er der schweigenden, neugierigen Versammlung zu. »Wo es in Nagasaki viel schlimmere Verbrecher gibt als mich!« Er stieß ein bitteres, schrilles Lachen aus. »Schaut euch einmal auf der Insel Deshima um, dann werdet ihr schon sehen!«
Unruhe breitete sich in der Menge aus; plötzliches Gemurmel fuhr wie ein Windstoß über das Plateau hinweg. Angesichts dieser Anschuldigung stieß der ängstliche Beobachter scharf den Atem aus; denn Yoshidô sagte die Wahrheit. Durch einen unglücklichen Zufall hatte der Beobachter in der holländischen Handelsstation auf Deshima erschreckende Dinge gesehen; er hatte heimliche Treffen beobachtet, und ungesetzliche Geschäfte, und er hatte verbotene geheime Absprachen zwischen Ausländern und Japanern gehört. Schlimmer noch – der Beobachter glaubte zu wissen, wer die Verantwortung für all diese Verbrechen trug. Sein
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