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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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    EIN SCHÖNERER ORT
    Jack Griffin war mit einem Mal hellwach, und obwohl der Digitalwecker auf dem Nachttisch seines Hotelzimmers 5:17 zeigte, wusste er, dass er nicht wieder einschlafen würde. Er war gestern Abend zu früh zu Bett gegangen. Mit dem Erwachen, in der einsamen Finsternis vor Tagesanbruch, kam die unangenehme Erkenntnis, dass das, was er gestern nicht einmal sich selbst hatte eingestehen wollen, jetzt nur allzu klar vor ihm stand. Er hätte seinen Unwillen hinunterschlucken und den einen Tag auf Joy warten sollen.
    Es war zu ihrer festen Gewohnheit geworden, sofort nach Griffins letzter Seminarsitzung vom Campus zu fliehen. Gewöhnlich nahmen sie die »Straße der Freiheit« (wie er die I-95 nannte), fuhren nach New York und gönnten sich ein gutes Hotel. Tagsüber machte er sich dann über den kleinen Stapel Portfolios seiner Studenten her, während Joy einkaufte oder sich anderweitig vergnügte, und abends sahen sie sich die Filme an, die sie zuvor verpasst hatten, und gingen in Restaurants. Es erinnerte ihn an die ersten Jahre ihrer Ehe damals in L.A. und kostete ein kleines Vermögen, aber Geld auszugeben, das sie eigentlich nicht hatten, machte ihn irgendwie optimistisch, dass noch mehr Geld hereinkommen würde – so war es in L.A. gewesen –, und es half ihm bei der Durchsicht der Portfolios.
    Dieses Jahr hatte Kelseys Cape-Cod-Hochzeit ihnen einen gründlichen Strich durch die Rechnung und New York zu einem unpraktischen Umweg gemacht – allerdings hätte er sich auch mit Boston zufrieden gegeben. Aber Joy hatte angenommen, dass der übliche Zeitplan wegen der Hochzeit ohnehin nicht mehr galt, und die Dinge weiter kompliziert, indem sie einige Termine auf den Tag nach seiner letzten Seminarsitzung gelegt hatte. »Dann fahr doch einfach schon mal«, hatte sie gesagt, als er seinem Unmut darüber Luft gemacht hatte. »Mach dir einen schönen Männerabend in Boston. Wir treffen uns dann am Cape.« Er hatte diesen Vorschlag mit zusammengekniffenen Augen erwogen. Musste man für einen Männerabend nicht zu mehreren sein? Oder hatte Joy es singularisch gemeint: als Bezeichnung für einen Abend, an dem ein Mann sein Mann-Sein zelebrierte? Hatte sie diesen Ausdruck schon ihr Leben lang so – also singularisch – verstanden? Joys Beziehung zur englischen Sprache war nicht unproblematisch. Ständig vermischte sie Metaphern und behauptete etwa, jemand habe »mehrere Eisen im Ärmel«. Trümpfe im Ärmel? Eisen im Feuer? Bei ihren Schwestern Jane und June war es noch schlimmer, und wenn man sie korrigierte, machten alle drei gefährlich schmale Augen. Hätten sie so etwas wie ein Familienmotto gehabt, so hätte es gelautet: Du weißt genau, was ich meine.
    Jedenfalls hatte der Vorschlag seiner Frau, er solle doch allein vorausfahren, sehr unaufrichtig geklungen, und das war dann auch der Grund gewesen, warum er ihn angenommen hatte. »Na gut«, hatte er gesagt, »das werde ich tun« und eigentlich damit gerechnet, dass sie sagen würde: Wenn es dir so viel bedeutet, verschiebe ich die Termine . Doch sie hatte es nicht gesagt, nicht einmal, als er seine Reisetasche gepackt hatte, und so hatte er eine Wahrheit entdeckt, die andere Männer vermutlich längst kannten: Wenn man erst einmal vor den Augen einer Frau eine Tasche gepackt hatte, war es weder möglich, sie wieder auszupacken, noch mitsamt der verdammten Tasche zu gehen.
    Schlimmer noch: Joy, die Filme lieber auf DVD sah als im Kino – für das sie doch eigentlich gemacht waren –, hatte ihm eine Liste von Filmen mitgegeben, die er sich auf keinen Fall ohne sie ansehen durfte, und natürlich waren das die einzigen, die sich lohnten.
    Er verbrachte eine Stunde damit, sich die Restaurantbroschüren durchzulesen, die in seinem Hotelzimmer lagen, konnte sich aber nicht einmal entscheiden, was er eigentlich essen wollte. Wenn Joy dabei war, bereitete Griffin diese Art von Entscheidungen keinerlei Schwierigkeiten, aber sobald es nur um ihn selbst ging, konnte er sich zu nichts entschließen. Er sagte sich zwar, daran seien eben dreißig Jahre Ehe schuld: Das Wissen, was seiner Frau gefiel, war Teil des Entscheidungsprozesses. Okay, aber er ertappte sich immer häufiger dabei, dass er entschlusslos mitten im Zimmer stand, und er wusste, dass dies die typische Pose seines Vaters gewesen war. Schließlich hatte Griffin etwas beim Zimmerservice bestellt und sich einen hirnlosen Fernsehfilm angesehen, einen von der Sorte, wie er und Tommy, sein Partner,

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