Die Spur des Verraeters
Der bestechliche Statthalter war in Sicherheit.
»Nun ja.« Die Augen von Statthalter Nagai wurden schmal, als er den verbalen Schlag Sanos abbekam, doch er blieb nach außen hin freundlich und verbindlich, wie es bei seinem Erscheinen in der Öffentlichkeit angemessen war. »Euer Lob ehrt mich sehr, und ich kann Euch versichern, dass die Verwaltung dieser Stadt noch lange Zeit in meinen Händen liegen wird.« Und du kannst nichts dagegen tun , sagte sein hämisches Grinsen.
Sie verbeugten sich voreinander, wobei sie ihre beiderseitige Feindseligkeit verschleierten. Bevor Sano an Bord der Fähre ging, sagte er: »Sobald ich in Edo bin, wird der Shogun alles erfahren, was in dieser Stadt geschehen ist.«
Nagai kicherte. »Da bin ich sicher. Aber vielleicht fragt Ihr Euch einmal, was mit der Beute der Schmuggler geschieht. Nun, sie ist bereits unterwegs zu Kammerherr Yanagisawa. Er wird meinen großzügigen Tribut zweifellos zu schätzen wissen.« Mit einem triumphierenden Lächeln wandte Nagai sich um und ging mit seinem Gefolge davon.
Sano blickte dem Statthalter mit widerwilliger Bewunderung hinterher, während der Fährmann ihn zum Schiff ruderte. Typisch für den politisch durchtriebenen Nagai, sich auf eine solche Weise zu schützen! Das üppige Geschenk würde erheblich zum Ansehen des Statthalters bei Kammerherr Yanagisawa beitragen – der im Gegenzug jeden Versuch Sanos verhindern würde, Nagai dessen Verbrechen vielleicht doch noch nachzuweisen. Wenngleich Sano einen Mörder überführt, einen Schmugglerring zerschlagen und Hirata und sich selbst gerettet hatte – die letzte Schlacht in diesem Krieg hatte er verloren. Aber diese Niederlage war zugleich eine weitere wertvolle Lektion, die Sano neue Herausforderungen enthüllt hatte, seinen Schwur zu erfüllen und sein Heimatland zu verteidigen.
Zuerst als Polizeioffizier und später als sôsakan des Shogun war er an jede Ermittlung herangegangen wie ein Soldat, der in die Schlacht zieht. Er hatte sich voll und ganz seinem Ein-Mann-Feldzug gegen die Bestechlichkeit verschworen, die Japan mindestens ebenso sehr bedrohte wie jede äußere Macht. Doch als Einzelkämpfer konnte Sano das Tokugawa-Regime genauso wenig von Korruption und anderen Missständen befreien, wie er allein eine militärische Invasion hätte zurückschlagen können. Um zu siegen, musste Sano die Rolle des einsamen Kämpfers aufgeben; denn auf sich allein gestellt, musste er dem feindlichen Heer früher oder später unterliegen. Er musste zum General werden, der Truppen und Verbündete in den Kampf führte und sich die Macht und den Einfluss erwarb, den er benötigte, um einen Mann wie Statthalter Nagai zu besiegen. Und es würde eine ständige Herausforderung an ihn sein, seine eigenen Motive zu begreifen. Er musste daran arbeiten, sie darauf auszurichten, was gut war und was schlecht; er musste die selbstsüchtigen Antriebe in seinem Inneren von den ehrenhaften scheiden, und er musste auf seiner Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit die Zahl der Verluste seiner Truppen so gering wie möglich halten.
Die Fähre legte neben dem Schiff an, dessen Flaggen in kräftigen Farben über dem gewölbten hölzernen Rumpf und der mit Blattgold und Lackarbeiten verzierten Kabine flatterten. Seeleute ließen eine Strickleiter für Sano hinunter; Hirata half ihm an Deck. Auf Befehl des Kapitäns lichtete die Besatzung den Anker. Die Segel blähten sich, und das Schiff bewegte sich durch die Hafeneinfahrt und in Richtung offenes Meer. Sano und Hirata standen am Heck und beobachteten, wie die Anlegestellen, die Gebäude und Hügel Nagasakis kleiner und kleiner wurden.
»Noch nie war ich so froh, einen Ort zu verlassen«, sagte Hirata voller Inbrunst und winkte der jubelnden Menge an der Küste zu. »Lieber bin ich auf dem ganzen Nachhauseweg seekrank, als auch nur einen Augenblick länger hier zu bleiben.«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, erwiderte Sano, wenngleich er sich damit nicht nur auf ihre schlimmen Erlebnisse in dieser Stadt bezog. Nagasaki – das Unruhegebiet, an dem Japan und die weite Welt aufeinander trafen – stellte zugleich die Verbindung zwischen Sanos eigener Vergangenheit und Zukunft dar. Indem er aus dieser Stadt abreiste, ließ er seine politische Unschuld zurück, seine Fehler und seine Isolation und eröffnete die Möglichkeit für neue Bindungen und unzählige neue Gelegenheiten zum Erfolg.
»Was in Edo wohl alles geschehen sein mag, seit wir von dort fort sind?«, fragte
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