Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Kabarettist, das ist kein Beruf, das ist ein Defekt.
Das ist ein Spiel-, Sprach- und Assoziationswesen, gesteuert von einem Schaltkasten, in dem etliche Relais falsch justiert wurden oder gänzlich fehlen.
Geschaffen in einem folgenschweren Moment im Verlauf jener sieben Tage, in dem der Schöpfungselektriker entweder betrunken war oder unbeaufsichtigt von einer diabolischen Laune erfasst wurde.
Kabarettist, das sind Schaltfehler im Kopf, Hirnrisse, in denen Gedankenfunken sprühen, dort, wo normalerweise wohlgepolter Gleichstrom fließt.
Kabarettist, das ist kein Lebensplan, das ist eine Passion.
Kabarettist ist nicht etwas, das man wird, sondern etwas, das einen nicht mehr loslässt.
Alles andere, das sind Witzeerzähler, Comedians, Humoristen, Alleinunterhalter.
Ehrenwerte Berufe, Menschen mit einer manchmal großen Fertigkeit, das Banale der Normalität noch einmal so zu verkürzen, dass ein Witz daraus wird, in dem der Mensch sich wohlfühlt, indem er sich nicht erkennt.
Darüber lachen die meisten.
Davon gibt es viele.
Kabarettisten dagegen gibt es nur wenige.
Denn für sie ist das ganze Leben mitsamt der Schöpfung ein Witz, den sie zu erklären versuchen.
Sie spielen mit der Heillosigkeit, die die Volksbelustiger zu verdrängen versuchen.
Das eint sie, wiewohl es regionale Unterschiede gibt.
Jeder ist sich des Abgrundes bewusst, aber manche gehen grundsätzlich anders damit um.
Der bayerische Kabarettist zum Beispiel versucht die Sinnlosigkeit zu bekämpfen, der österreichische genießt sie.
Der Gipfel des Humors ist der Absturz.
Das Scheitern.
Darüber lachen nun aber deutlich weniger.
Das macht die Zahl der Kabarettisten überschaubar.
Zum einen, weil sie nicht baugleich sind mit dem Rest der Menschheit und dadurch nicht kompatibel mit der Serienproduktion, und dies unabhängig davon, ob man glaubt, die Basis sei das Buch Genesis oder dass es in den Genen ist.
Wo man die Werkstatt vermutet, ist zweitrangig, das Hauptproblem ist, es gibt kaum Ersatzteile.
So landen die meisten Fehlkonstruktionen auf dem Müll.
Zum anderen, weil diese Inkompatibilität keiner aushält und somit die meisten versuchen, mit Johanniskraut, Antidepressiva und Drogen ihre Anomalie wieder in Normalität zu transformieren, um an Stammtischen und in Mitarbeitermeetings nicht unangenehm aufzufallen.
Unzweifelbar aber gibt es eine Handvoll Kabarettisten.
Warum?
Manchmal, so möchte ich es mir erklären, hat wohl der Schöpfer Mitleid, weniger mit seinen Geschöpfen, aber mit seinem Elektriker, wenn er ihn dabei beobachtet, wie dieser seinerseits kopfschüttelnd und in Trauer versinkend die Biographien seiner Irrläufer verfolgt.
Dann tritt der Schöpfer an ihn heran, fasst ihn tröstend an der Schulter und verspricht seinem Handwerker, er werde für seinen nächsten Verdrahtungslapsus eine Biographie entwerfen, die dem Hoffnungslosen eine Chance lässt.
Dann sitzen sie zusammen, trinken ein paar Obstler und basteln ein Geschöpf, das nicht nur trotz dieser Defekte, sondern gerade ihretwegen in Würde überleben kann.
Wenn Gott ein schlechtes Gewissen hat, dann entsteht ein Kabarettist.
Und das hat er ganz selten.
Dann aber wird das Danebenleben zum Überleben.
So war es wohl auch im Jahre 1953.
Wieder einmal war der Schöpfungselektriker am Boden zerstört.
Wieder einmal hatte er alle Drähte verwechselt.
Ein an sich patentes Kerlchen mit großen Augen wollte in die Welt, aber mit einem dermaßenen Verdrahtungsverhau im Kopf, dass es dort nicht lange hätte bleiben können.
Da dachte Gott einen Augenblick nach und entschied sich, der Welt einen weiteren überlebensfähigen Hoffnungslosen zu schenken, einzugreifen in die Entwicklung eines dieser Geschöpfe, für die es von Anfang an nur zwei Möglichkeiten gibt.
Unter der Brücke zu landen oder auf der Bühne.
Und er ordnete dessen biographisches Umfeld so, dass nichts anderes entstehen konnte als ein Kabarettist.
I.
Als Erstes galt es einen Ort zu finden, der so eng, provinziell, so bedrückend und voll oligarcher Macht war, dass Widerstand zwangsläufig entstehen musste.
Er dachte zunächst an Gabun, Nowosibirsk oder Paderborn.
Gabun schied mit einer Bevölkerungsdichte von fünf Einwohnern pro Quadratkilometer wegen der mangelnden Gastspielmöglichkeiten aus.
Nowosibirsk empfand er wegen des Kommunismus als ungeeignet, er wollte sein Geschöpf nicht im Gulag verenden sehen, und an Paderborn störte ihn die Sprache.
Ihm schwebte ein
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