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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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Element ist.
    Es war die Zeit, als Wilhelm Bungert das Wimbledonfinale verlor, Kurt Georg Kiesinger CDU -Vorsitzender wurde, Oskar Maria Graf starb, Benno Ohnesorg erschossen wurde und im Passauer Stadttheater der » Bettelstudent « auf dem Programm stand.
    Das Geschöpf war in der dritten Klasse des humanistischen Gymnasiums und kam mit dem bereits sechzehnten Verweis nach Hause.
    Für Tante Mela schien die Zeit gekommen, mit einer physischen Bestrafung nachhaltig zu demonstrieren, dass es nicht angehe, in eine spätere gehobene Beamtenlaufbahn mit einem dermaßenen Strafregister einzutreten.
    Mit ernster Geste überreichte sie dem Vater den Spanischen, diese biegsame Adenauervariante des altbiblischen Bastonadeprügels.
    Dabei sagte sie ihm, wie stolz sie sei, dass er wie der Schah von Persien aussehe, und dass selbst der hart durchgreife, wenn es die Situation erfordere.
    Das Geschöpf war sich sicher.
    Der Vater. Nie.
    Nie würde er es schlagen.
    Der liebt Spaziergänge, Waldläufe und Baden im Stausee.
    Es hatte sich getäuscht.
    Mit einem blutroten Zorneskopf packte es der Vater, zerrte es ins Wohnzimmer und donnerte die Tür ins Schloss.
    Iatzt is Schluss!
    Iatzt bin i sauer,
    du Bauer,
    iatzt hau i
    di ummanand
    wia an Tanzbärn.
    Obwohl das Geschöpf die herbe Poesie des Vaters überraschte, war es weit davon entfernt, deren Wesen zu begreifen.
    Zu stark war die Wucht, mit der es über eine Sessellehne gebogen wurde, zu entschlossen das Erheben der Schlaghand, zu pfeifend das Geräusch des Spanischen, der ihn verfehlte und neben seinem Kopf einschlug in die Chippendale-Couch.
    Des loß i mia ned gfoin,
    du Lackl,
    du Fackl,
    du Hehnergaggl du.
    Wieder wirbelte der Spanische den Polsterstaub auf, und langsam begann das Geschöpf zu begreifen.
    Und als der Vater leise flüsternd mehr Engagement von ihm forderte, begriff es, dass es Bestandteil einer großen Inszenierung war.
    I bin immerhin Posthauptsekretär,
    hob des goidane Sportabzeichen
    und loß mi ned dablecka,
    weng deim Dreg am Schtecka,
    du Witwenschrecker.
    Innige Reue und Schmerzensschreie gebar das Geschöpf im Rhythmus der Schläge, die mit unnachgiebiger Härte im Stilmöbel landeten.
    Und dann sind die beiden wieder hinaus aus dem Wohnzimmer wie aus dem dritten Akt.
    Katharsis.
    Die Wirkung war grandios.
    Tante Mela war total » erschüttert « .
    Der Vater überreichte den Spanischen wie Willy Birgel eine Duellpistole, und die Mutter betrachtete ihn mit einer Mischung aus ungläubigem Erstaunen und zweifelnder Ängstlichkeit.
    Tante Mela aber wischte alle Bedenken mit einem Hinweis auf die Bedingungen an der Ostfront weg.
    Das Geschöpf schlich aus dem Zimmer und erfuhr, wie wirklich nahe Lachen und Weinen beieinanderliegen und dass jedes Publikum, einmal durch die Wucht einer Inszenierung grundsätzlich der Wirklichkeit enthoben, den Unterschied überhaupt nicht mehr zu erkennen in der Lage ist.
    Einige Jahre nach dieser letzten Lehrstunde entriss Gott dem Geschöpf seinen Vater.
    Er starb an dem Tag zwischen der Premiere des ersten Programms und dem Erscheinen der Zeitungskritik.
    Sie hätte ihn zwar nicht mehr geheilt, aber sehr gefreut, bescheinigte sie doch dem Geschöpf eine hohe komödiantische Dichte und erzählerische Tiefe.
    Aber Gott wollte keine Harmonie.
    Das Geschöpf hatte weiterzuagieren.
    Es sollte Satire und Komik leben, das ist die Überwindung von Leid durch die Lust an der Sinnlosigkeit.
    So wurde der tote Vater zur einzigen Person in seinem Umfeld, der es alles erzählte, wenn es vor seinem Grab stand.
    Niemand sonst würde es verstehen.
    Die Kunstform des Monologs wurde dadurch erweitert und trainiert.
    Es erzählte ihm von seinem Wunsch, dieses Passau zu verlassen, nach München zu gehen, weil dort alles anders sei, um ihm Jahre später zu gestehen, dass es auch München, diese Mischung aus dialektbereinigten Bauernpolitikern, Provinzstipendiaten, Siemenslangeweilern und toupierten Beamten, für die Entwicklung von Weltläufigkeit allein schon topographisch nicht einfach habe.
    Hinten riegeln die Berge ab, vorne ist Niederbayern, rechts Franken, links das Allgäu.
    Mit diesen Einflusskoordinaten würde wahrscheinlich sogar New York zu einem Vorort von Unterhaching gerinnen.
    Dass es in Sälen spiele, erzählte es ihm, in denen die Lampen aus Lederhosen bestehen, und es weiß, es ist in Oberbayern.
    Viel Geld, wenig Geschmack.
    Und ein einfacher Kulturbegriff.
    Solange wir noch einen Konzern finden, der uns unsere

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