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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Problem für ihn, und so unterhielten sie sich in der Ecke der Terrasse, während das Geräusch von Stimmen und Musik leise von dem siebzig Meter unter ihnen gelegenen Strand heraufdrang.
    Sie fanden Gefallen aneinander – es reizte sie, sich näher kennen zu lernen. Der Anfang war leicht und selbstverständlich. Eine Frage ergab sich aus der anderen.
    »Sind Sie grad angekommen?« fragte Ashley. »Ich hab' Sie noch gar nicht gesehen.«
    »Letzte Nacht. Und Sie?«
    »Oh, ich bin schon eine Woche hier – zehn Tage.«
    »Ferien?«
    »Nicht direkt. Ich habe hier zu tun.«
    »Hübscher Platz zum Arbeiten. Was machen Sie denn?«
    »Ich bin Korrespondent. Journalist.«
    »Interessant. Das heißt, Sie reisen viel, schreiben Geschichten, lernen viele Leute kennen. Ein schönes Leben.«
    »Mitunter schon.« Zum Beispiel jetzt war es ein schönes Leben. An seinem vierzigsten Geburtstag. Kurz vor Vollendung seines Meisterwerks. Mit einer blonden Schönheit, die ihn im strahlenden Sonnenschein anlächelte, während er eine leise Beunruhigung ins Unterbewusstsein verbannte.
    »Übrigens, mein Name ist Ashley – Richard Ashley.«
    »Elena Carrese.«
    Die Art, wie sie das sagte, gefiel ihm. Schlicht und selbstverständlich, mit keiner Spur des kichernden Errötens der Mädchen von Neapel.
    »Machen Sie auch Ferien?«
    »Nur heute. Mein Chef kommt morgen.«
    »Oh!«
    Das war keine angenehme Überraschung. Mädchen, denen ihre Chefs Appartements im ›Caravino‹ mieteten, waren in der Tat eine sehr besondere Art Mädchen.
    »Im Winter arbeiten wir in Rom, und im Sommer kommen wir hier herunter.« Sie sagte das ganz selbstverständlich, ohne Zögern oder Verlegenheit.
    »Sie haben's gut«, entgegnete Ashley trocken. »Was tun Sie denn – das heißt, was tut Ihr Chef?«
    Sie zog die Schultern hoch und breitete die Arme aus, so daß die Badejacke herunterglitt und Ashley sich zu ihr hinüberbeugen mußte, um sie ihr wieder umzulegen.
    »Was tut er? Oh … Vielerlei Sachen. Politik, Finanzen, Bankgeschäfte. Er reist sehr viel. Und so reise ich natürlich auch viel.«
    »Natürlich. Übrigens: wahrscheinlich kenne ich ihn.«
    »Wahrscheinlich.« In ihrem Blick war keine Bosheit und in ihrem Lächeln auch nicht die Andeutung von Ironie. »Wenn Sie Journalist sind, dürften Sie ihm gewiß schon begegnet sein. Er ist ziemlich bekannt in Italien.«
    »Wie heißt er?«
    »Vittorio, Herzog von Orgagna.«
    Hier zeigte sich, wie gut es war, wenn man in seinen jungen Jahren Pokern gelernt hatte. Und wie wichtig, daß man der Sekretärin des Botschafters Geschichten zu entlocken gelernt hat, während die Kollegen den Sherry des Botschafters tranken. Wie wichtig, daß man mit vierzig Jahren gelernt hat, seinen Gesichtsausdruck zu beherrschen, während sich der Magen vor Schreck zusammenkrampft. Richard Ashley führte eine kleine Komödie auf. Eine Komödie, gemischt aus Staunen und Ehrerbietung.
    »Orgagna?« sagte er, »aber selbstverständlich kenn ich ihn! Ich habe ihn schon ein paar Mal interviewt.«
    Er hätte auch sagen können: »Ich kenne diesen Orgagna besser, als Sie ihn jemals kennenlernen werden, mein Herzchen. Sie arbeiten für ihn, vielleicht schlafen Sie sogar mit ihm. Aber ich habe mit ihm gelebt. Ich kenne seine Vergangenheit und seine Gegenwart. Ich bin der Richter seiner zweifelhaften Zukunft. Ich weiß, wieviel Geld er hat und woher er's hat. Ich kenne seine Macht und die Grenzen seines Einflusses. Ich kenne die Männer, die er gekauft hat, und bin mit denen ins Geschäft gekommen, die wiederum ihn verkaufen. Ich kenne die Frau, die er geheiratet hat, und die anderen – alle anderen, ausgenommen Sie, mein Herz. Sie sind eine Art Überraschung für mich. Ich habe seine Triumphe vermerkt und werde mich heute seines endgültigen Untergangs erfreuen. Morgen werde ich die Welt von seiner Verdammung in Kenntnis setzen.«
    Das hätte er sagen können. Aber er sagte es nicht. Statt dessen grinste er, ein verbindliches, verlogenes Grinsen, und legte die Badejacke um die Schultern von Elena Carrese.
    »Morgen gehören Sie Orgagna«, sagte er dann. »Heute gehören Sie mir. Es ist mein Geburtstag, und ich habe gute Nachrichten bekommen. Ich möchte gern feiern. Würden Sie ein Glas mit mir trinken?«
    »Gewiß, Signore! Gern!« antwortete Elena Carrese und schritt ihm mit wiegenden Hüften voraus in die Halle. Das Radio spielte leise A'nnamurata Mia. Roberto polierte Gläser und stellte sie in das schwarze Glasregal hinter der

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