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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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vernichten könnte, das noch getan werden kann. Verstehen Sie mich?«
    »Nein!« rief Richard Ashley. Granforte fuhr herum.
    »Warum nicht?«
    Ashley versuchte es ihm zu erklären:
    »Weil Sie die Wahrheit nie so tief vergraben können, daß sie nicht wieder ausgegraben werden kann. Weil Sie die Wahrheit nie so lange verbergen können, daß sich niemand mehr daran erinnert. Weil es besser ist und sicherer, sie auszusprechen und darüber hinwegzukommen, bevor sie zur Lüge verdreht wird. Zur Lüge, die immer mehr und mehr Leute verdirbt. Das ist ja das Unglück dieses Landes. Das ist ja das Unglück Europas. Jedermann kennt die Wahrheit, aber kaum jemand hält es für nötig, sie zu verbreiten – ausgenommen Idioten wie ich, die sich den Schädel dafür einschlagen lassen.«
    »Sie sind bereit, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit, Ashley?« unterbrach in George Harlequin mit schneidender Stimme.
    »Jawohl, das bin ich.«
    »Über Sie selbst und Rossana und Carlo Carrese und unseren Freund Tullio hier und mich und Granforte? Über alle höchst verworrenen und verwirrenden Querverbindungen und über die womöglich noch verwirrteren Motive?«
    »Ich bin bereit, die Wahrheit zu sagen – jawohl.«
    »Aber können Sie auch garantieren, daß Ihre Wahrheit veröffentlicht wird?«
    Ashley warf einen verwunderten Blick auf ihn.
    »Sie wissen genau, daß ich das nicht garantieren kann. Niemand kann das. Eine Zeitung verfügt selbst über ihren Platz und muß sich nach den Interessen ihrer Leser richten. Es ist unmöglich …«
    »Es ist unmöglich, die ganze Wahrheit zu sagen, und Sie wissen es«, sagte Harlequin. – Das ist eine Wahrheit, der wir alle ins Auge sehen müssen, mein lieber Junge. Selbst wenn Sie Ihre Wahrheit verbreiten könnten, hätten doch die wenigsten Menschen genug Geduld, sie zu lesen, oder genug Mut, sie anzuhören. Die Menschen wollen nichts anderes als Schlagzeilen, und die kriegen sie. Weil nämlich Schlagzeilen das Leben nett, einfach und unkompliziert erscheinen lassen. Schwarz und weiß, gut und böse, Komödie und Tragödie. Aber so kann man nun einmal ein Land nicht regieren. Mit solchen Methoden kann man kein Volk beherrschen. Eine Nation ist keine Maschine. Sie besteht aus Menschen, und allein Gott der Allmächtige weiß die ganze Wahrheit über den Menschen. Ich bin nicht einmal überzeugt, daß er mit dieser Wahrheit glücklich ist. Wozu die ganze Spiegelfechterei? Laßt die Toten ihre Toten beerdigen. Und wenn Sie die Wahrheit schon nicht begraben wollen, warum wollen Sie sie nicht wenigstens eine Weile schlafen lassen? Was verlieren Sie schon dabei? Nichts …
    Das schrille Läuten des Telefons unterbrach seinen Redefluss. Ashley sprang auf, doch vertrat ihm Inspektor Granforte den Weg.
    »Lassen Sie ihn nur«, sagte George Harlequin. »Soll er doch in Gottes Namen tun, was er nicht lassen kann.«
    Granforte gab den Weg frei, und Ashley stand mit dem Hörer am Ohr da und lauschte der Kette unpersönlicher Stimmen, die einander »Pronto, pronto, pronto – dringend Presse Rom« zuriefen. Sein Blick ruhte auf Orgagnas totem Antlitz und auf dem Blut, das seine weiße Hemdbrust färbte. Die Prontos kamen den ganzen Weg zurück. Rom, Terracina, Neapel, Castellammare, Sorrent, und endlich hörte er Campbells Stimme.
    »Pronto! Hier spricht Campbell.«
    »Ashley hier, aus Sorrent.«
    »Großartig, daß ich endlich von dir höre, mein Junge. Was gibt's denn?«
    »Ist Hansen nicht da?«
    »Nee. Der Chef ist verreist.«
    »Ich habe die Orgagna-Story. Komplett. Vom Anfang bis zum Ende.«
    »Du hast sie?«
    »Jawohl. In diesem Augenblick stehe ich …«
    »Vergiß das Ganze«, sagte Campbell.
    »Was?!« Ashley starrte ungläubig auf den Hörer.
    »Ich sage, vergiß das Ganze. Nimm dir eine Woche frei und amüsier dich gut. Dann komm nach Rom zurück.«
    »Aber … aber ich versteh' dich wohl nicht richtig? Ich habe eine ausgewachsene Sensation in der Hand, Campbell! Orgagna ist tot. Er …«
    »Kommt hier nicht mehr an. Bei uns ist modern, daß Harold P. Halsted zum Botschafter der Vereinigten Staaten in Italien ernannt worden ist, mein Junge! Und folglich sind alle schrägen Geschichten über dieses schöne Land für uns gestorben. Ge-stor-ben! Tot! Halsted ist nämlich nicht nur Botschafter, er unterschreibt auch weiterhin unsere Schecks. Hast du Hansens Brief nicht bekommen? Den Brief mit der Dollaranweisung? Liest du eigentlich keine Zeitungen? Wo warst du denn die ganze

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