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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Bar. Als sie eintraten, sah er auf, und beim Anblick des Mädchens breitete sich ein albernes Lächeln über seine Züge. Sie setzten sich auf hohe Barhocker und bestellten Drinks. Ashley machte Elena ausgefallene neapolitanische Komplimente; sie schob schmollend die Lippen vor und sagte »Sie Schmeichler« und ließ ihre Hand einen Augenblick auf seiner ruhen. Alles war offen und herzlich und charmant und natürlich – eine Ferienbegegnung im Land der ewigen Sonne. Oder war alles nur eine kunstvolle Lüge?
    Sechs Monate lang hatte Ashley seine Netze in den undurchsichtigen Gewässern italienischer Politik ausgeworfen. Unmöglich, so etwas geheim zu halten. Unvorstellbar, daß Orgagna nichts von der Untersuchung merken sollte, die gegen ihn im Gange war. Ebenso unvorstellbar, daß dieser Tag, gleichsam der Krönungstag, vergehen konnte, ohne daß er irgend etwas unternahm, um die Veröffentlichung der Anklage gegen sich zu verhindern. Vielleicht war diese Begegnung Ashleys mit Elena Carrese der Anfang seines Gegenangriffs?
    Doch sie lächelte noch immer und plauderte noch immer und machte noch immer ihre hübschen kleinen Mannequin-Gesten: »Sie sagten, Sie hätten gute Nachrichten?«
    »Nachrichten …?« Sein Geist war weit fort. »Oh – o ja, natürlich.«
    »Sie haben mir noch gar nicht gesagt, was es ist.«
    ›Na endlich‹, dachte er, ›endlich kommen wir zur Sache. Hübsch langsam, wie das in Italien so üblich ist. Erzählen Sie mir Ihre Nachrichten, mein lieber Herr, damit ich sie meinem Chef weitersagen kann. Meinem Chef, Vittorio, Herzog von Orgagna.‹
    Betrübt zuckte er die Schultern.
    »Ach – nur so eine berufliche Geschichte. Ich hab' da eine Reportage gemacht, und es hat sich herausgestellt, daß es eine recht gute Reportage ist. Mein Blatt hat mich eben autorisiert, gewisse Dokumente zu kaufen. Und jetzt habe ich eine ganz ausgezeichnete Reportage.«
    »Was für eine Art Reportage ist es denn?« Sie sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an.
    »Politisch.«
    »Oh.«
    Der kleine Ausruf hing in der Luft wie der Ton einer angerissenen Saite.
    »Wenn wir uns erstmal besser kennen, werde ich's Ihnen erzählen.«
    »Eine einmalige Indiskretion«, sagte eine nüchterne englische Stimme.
    Ashley fuhr mit einem ärgerlichen Ausruf herum. Sein Drink kippte halb über. Auch das Mädchen wandte sich um, und sie sahen vor sich einen kleinen, feingliedrigen Burschen mit einem braven, jungenhaften Gesicht und sanften Augen. Er war wie ein Engländer angezogen, mit blauer Klubjacke, grauen Flanellhosen, seidenem Hemd und sorgfältig gebundenem Schal. Er hatte das unangemessen jugendliche Äußere der Menschen aus kalten Breiten. Ohne Ashleys offenbares Missvergnügen zur Kenntnis zu nehmen, trat er an die Bar. Elena Carrese beobachtete ihn vorsichtig. Er streckte seine Hand aus.
    »Ashley, alter Junge, nett, Sie hier zu treffen!«
    »Hm … wirklich sehr nett.« Ashley gab ihm flüchtig die Hand und stellte ihn vor. »Elena Carrese – George Harlequin.« Harlequin nickte dem Mädchen beiläufig zu und wandte sich wieder an Ashley.
    »Wir scheinen uns aber auch überall zu treffen, was? Presseklub Venedig, Frühlingsfest Florenz, Jos Bar, Rom, Stampa Neapel. Und jetzt hier. Wirklich seltsam.«
    »Sehr seltsam.«
    George Harlequin ging unvermittelt zu Italienisch über. Er verbeugte sich spöttisch vor dem Mädchen.
    »Sie sehen wunderschön aus, Lena«, sagte er.
    »Danke vielmals«, erwiderte das Mädchen ohne Begeisterung.
    »Sie kennen sich schon?« Ashley war überrascht und vorsichtig.
    »Jawohl«, sagte Elena steif. Sie glitt rasch von ihrem Barhocker und wandte sich ab. »Entschuldigen Sie mich, ich muß gehen.«
    »Aber hören Sie mal, Sie können doch nicht …«
    »Bitte entschuldigen Sie mich.« Sie war schon beinahe an der Tür.
    »Werden Sie heute mit mir zu Abend essen?«
    »Tut mir leid, das ist unmöglich.«
    »Dann vielleicht nach dem Essen einen Kaffee?«
    Jetzt hatte sie die Tür erreicht. Ein Augenblick, und sie würde verschwunden sein. Da blieb sie stehen und drehte sich um.
    »Nun gut, nach dem Essen – auf einen Kaffee.«
    Dann war sie fort, und George Harlequin hockte auf ihrem Barstuhl, wie ein missgünstiger Kobold kichernd. Ashley tobte vor Wut.
    »Also los, Harlequin, kommen Sie zur Sache. Seit Monaten rennen Sie mir nach. Jetzt ist es soweit. Was wollen Sie?«
    »Zuallererst mal was zu trinken«, sagte George Harlequin kühl.
    »Was?«
    »Scotch mit Soda.«
    »Sofort,

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