Die Stunde des Löwen
getöteten Frauen und der in dieser Sache federführenden Amelie Bruckner auf infame Weise ausgenutzt worden war. Wie sie ihn mit ihrem Wissen über den Mord an Bruckner erpresst und ihm widerlichste sexuelle Dienste abverlangt hatten, was letztendlich dazu führte, dass er nach Amelie Bruckners Tod den Entschluss fasste, sich seiner Peinigerinnen zu entledigen.
»Eines will mir dabei aber nicht in den Kopf: Wieso konnte sich Alexander Nowak so sicher sein, nicht mit den Morden in Verbindung gebracht zu werden? In der Hinterlassenschaft seiner Opfer hätte doch durchaus der Film oder irgendein anderer Hinweis auf ihn als Täter auftauchen können.«
»Auf den Aspekt haben wir ihn angesprochen. Daraufhin hat er von seinem letzten Treffen mit Amelie Bruckner erzählt. Sie hat ihn kurz vor ihrem Tod zu sich bestellt und ihm versichert, dass der Film und sämtliche Kopien davon vernichtet seien und dass ihre Freundinnen keinen Beweis für den Mord an ihrem Mann besäÃen. In dem Punkt hat sie offensichtlich gelogen. Das Video existierte noch.«
»Warum hat Amelie Bruckner den dreien überhaupt erzählt, dass Nowak Hugo Bruckner getötet hat?«
»Das geschah vermutlich infolge einer Kränkung, die sie durch Nowak erfahren hatte. In einem schwachen oder besonders hasserfüllten Moment hat sie ihren Freundinnen die Tat dann wohl andeutungsweise anvertraut. So ganz klar war ihm das selbst auch nicht. Er hat nie gewusst, was die anderen Frauen konkret gegen ihn in der Hand hatten.«
»Und die drei sind nicht auf die Idee gekommen, zur Polizei zu gehen?«
»Auf die Idee vielleicht schon. Aber sie haben eben lieber dichtgehalten. Sie wären nicht in den Genuss von Nowaks Vorzügen gekommen, wenn der Mann in den Knast gewandert wäre.«
»Trotzdem, er ist ein verdammt hohes Risiko eingegangen, die drei Hexen zu töten.«
»Was wäre die Alternative gewesen?«, fragte Born und lächelte mitleidig. »Das erniedrigende Leben des Sexsklaven fortzuführen?«
Nachdem Fremden den Besucher verabschiedet hatte, blickte er noch eine Weile durch die geschlossene Terrassentür in den inzwischen dunklen Garten. Die Geschehnisse der letzten Wochen kamen ihm jetzt vor wie Ereignisse aus einer fernen Epoche: dass er von Rosens Schergen überfallen und verschleppt worden war, dass er Todesangst verspürt, mit Liebeskummer gekämpft und einen kniffligen Fall gelöst hatte, den zu lösen er sich vorher niemals zugetraut hätte. An jedem anderen Nachmittag wäre er jetzt einfach im warmen Wohnzimmer sitzen geblieben und hätte seine Gedanken treiben lassen. Doch heute konnte und wollte er das nicht. Mit einem Lächeln auf den Lippen stemmte er sich aus dem Kordsessel. Es war an der Zeit aufzubrechen. Sein Herz hatte einen kleinen Salto geschlagen, als sie angerufen hatte, um sich im beiläufigsten Tonfall der Welt zu erkundigen, ob er nicht Lust habe, zum Abendessen bei ihr vorbeizukommen.
Uwe Krüger
FRANKFURTER FISCHE
Kriminalroman
ISBN 978-3-86358-279-1
Â
Â
Leseprobe zu Uwe Krüger,
FRANKFURTER FISCHE
:
Prolog
Geh nicht gelassen in die gute Nacht,
Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert;
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.
Dylan Thomas
Martin Paschke presste sein faltiges Gesicht so lange an die Scheibe, bis er sich selbst in einen Fisch verwandelte und zusammen mit Blaustreifenschnappern und flaschengrünen Demoisellen durch fünftausend Liter Meerwasser glitt. Dabei hielt er ein Auge auf die Netzmuräne gerichtet, die nur scheinbar gelangweilt das schuppenschwänzige Treiben aus der Deckung einer alten Weinamphore betrachtete. Die schlaffe Haut des alten Mannes mit den unzähligen Altersflecken und den kalkweiÃen Bartstoppeln unterschied sich selbst auf den zweiten Blick kaum von der Tarnfärbung der Muräne.
Stunde um Stunde konnte Paschke so vor einem der riesigen Becken kauern, Wahrnehmung und Empfinden abgeschirmt, konzentriert auf die sprudelnde Bewegung des Wassers, das Strömen des Sauerstoffs und die Aktivitäten der kleinen und gröÃeren Flossenträger.
Bei manchen Fischen, die er schon lange kannte, konnte er den Bruchteil einer Sekunde vor der eintretenden Aktion erahnen, ob das Tier pfeilschnell einen frechen Schwarm Jungfische maÃregeln, einen besonders aufdringlichen Konkurrenten per Flankenbiss in die Schranken weisen oder einfach nur herzhaft
Weitere Kostenlose Bücher