Die Stunde des Löwen
musste. Als sie ihn im Bad beim Gurgeln mit Mundwasser erwischte und zur Rede stellte, giftete sie, dass er seinen mangelnden Respekt noch bitter bereuen werde. Die Woche darauf hatte er für den Zeichenkurs Modell stehen müssen. Und wieder eine Woche später hatte Selma vor seiner Tür gestanden. Ihr sei zugetragen worden, dass er sich für reifere Damen interessiere. Als er aus Fassungslosigkeit nichts erwidern konnte, drückte sie ihm eine Butlerlivree in die Hand und erklärte haarklein, was sie von ihm erwartete. Dann folgten Martha und Fátima. Damals hatte er keine Ahnung gehabt, was die Frauen über den Mord wussten und ob Amelie der Polizei das Video tatsächlich zuspielen würde, falls er sich ihren Freundinnen verweigerte. Die Rache einer gekränkten Frau.
Vor wenigen Wochen hatte ihn dann die Botschaft ereilt, dass Amelie unheilbar erkrankt war. Kurz vor ihrem Tod hatte sie ihn ein letztes Mal zu sich bestellt. Aber nicht, um ihm das Ãbliche abzuverlangen, sondern um mit ihm über seine Zukunft zu sprechen.
Immer noch geschockt über das virtuelle Auftauchen eines weiteren Mitwissers, kehrte er an den Computer zurück.
»Was soll das?« , tippte er ins Antwortfeld der Nachricht.
Die Reaktion erfolgte keine zehn Minuten später.
»Ich glaube, mein Freund, das weiÃt du am besten. Immerhin bist du im Film der Hauptdarsteller.«
»Gehtâs um Geld?«
»Was Sache ist, erkläre ich dir heute um siebzehn Uhr in Kahl am Ferienhaus.«
»Warum ausgerechnet dort?«, fragte er nach.
Doch Antwort erhielt er keine.
*Â *Â *
Nur schemenhaft hoben sich die Umrisse des Gebäudes vor dem dunklen Hintergrund des Sees ab. Das sanfte Rauschen des Windes drang an ihre Ohren. Sonst war kein Laut zu hören. Mannfeld wandte den Kopf zur Seite und spähte in den Wald hinein. Finsternis umhüllte die kahlen Bäume, die dicht an dicht im Schnee standen.
»Meinst du, er kommt?«, fragte sie und rückte die schusssichere Weste zurecht, die unangenehm auf ihre Brust drückte.
»Davon gehe ich aus«, antwortete Born, der nur eine Armlänge von ihr entfernt hinter einem Baum kauerte und das Areal mit dem Nachtsichtgerät absuchte.
Sie hätte nie gedacht, dass »hotcracker« so prompt auf ihre Nachricht reagieren würde. In puncto Fallestellen hatte Born einen guten Riecher bewiesen. Doch mittlerweile regten sich bei ihr Zweifel, ob die weitere Umsetzung seines Plans aufgehen würde. UnvorschriftsmäÃig war ihre Vorgehensweise auÃerdem. Es hatte ihr nicht ganz eingeleuchtet, warum er »hotcracker« ausgerechnet zu dem Ferienhaus bestellt hatte und nicht an einen Ort in Frankfurt, der besser zu überwachen war. Das Haus am See sei ihm einfach so auf die Schnelle in den Sinn gekommen, hatte Born geantwortet. Vielleicht auch, weil dort der allererste Mord passiert war.
Zu ihrem Missfallen hatte es Born dann auch noch strikt abgelehnt, die Kollegen über ihren Einsatz zu informieren. Nicht einmal die bayerischen jenseits der Landesgrenze. Offenbar hatte er Bammel, sich vor gröÃerer Mannschaft zu blamieren, falls »hotcracker« doch nicht erschien. Es war ein leichtsinniges und verdammt riskantes Spiel, auf das sie sich da einlieÃen. Immerhin hatte der Mann bereits vier Menschen auf dem Gewissen, und es war durchaus möglich, dass er, in die Enge getrieben, vor weiteren zwei Morden nicht zurückschreckte.
»Könnte uns Fremden vielleicht eine falsche Adresse genannt haben?«, flüsterte Mannfeld, als sich eine Viertelstunde nach der verabredeten Zeit immer noch nichts getan hatte.
»Glaub ich nicht. Das würde der Typ sich nicht trauen. Und dass wir den Fehler gemacht haben und zur falschen Adresse gefahren sind, glaub ich auch nicht. Immerhin gibtâs hier ein Ferienhaus, einen See und einen Bootssteg, von dem man ins Wasser fallen kann.«
»Aber â¦Â«
»Still.« Born packte sie am Arm und lauschte angespannt in die Dunkelheit. »Hast du das gerade gehört?«
»Was?«
»Ein Knacken. Drüben am Haus.«
Eilig griffen sie nach den Nachtsichtgeräten.
»Nichts«, sagte Mannfeld, nachdem sie Meter für Meter die Umgebung des Ferienhauses abgesucht hatte. »Vielleicht war es nur ein Tier, das das Geräusch verursacht hat.«
»Möglich, aber um auf Nummer sicher zu gehen, sehe ich lieber mal nach. Behalt du bitte das Gelände
Weitere Kostenlose Bücher