Die Stunde des Löwen
Kaviarschale mit gestoÃenem Eis, pellte ein hart gekochtes Ei, öffnete den Becher mit der Sour Cream und richtete die Blinis an.
Während er den halb gedeckten Tisch kontrollierte, bemerkte er ein leichtes Zittern seiner Hände. Er ermahnte sich, Ruhe zu bewahren. Doch schon beim Hacken der Zwiebel entglitt ihm das Wiegemesser. Es landete mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. Mit gesenktem Haupt eilte er ins Bad, um es zu reinigen. Im zweiten Anlauf klappte es besser. Die feinen Würfel strich er in ein Glasschälchen. Und erst als er sämtliche Vorbereitungen bei Tisch abgeschlossen hatte, holte er die Flasche Champagner Rosé und die Dose mit dem Beluga-Kaviar aus der Kühlbox. All dies geschah, ohne auch nur ein einziges Wort mit ihr zu wechseln.
Die CD , die er in die Kompaktanlage einlegte, hatte er ebenfalls im Koffer mitgebracht. Und auch die galt es später wieder mitzunehmen.
Unter die Klänge der klassischen Musik mischten sich leise Schmatzlaute. Unwillkürlich malte er sich aus, wie sich Kaviar und Blinis mit ihrem Speichel vermengten. Das gesamte Mahl über hatte er wie ein Schatten hinter ihr zu stehen. Ihre Serviette glitt auf den Boden. Lautlos trat er an sie heran, hob die Serviette auf und legte sie ihr wieder über den SchoÃ. Dabei streifte sein Blick erstmals das Bett. Auf der Ãberdecke lag ihre Handtasche und die kleine Tüte, die sie für diesen Abend mitgebracht hatte.
Als sie das Perlmuttbesteck beiseitelegte, begann er, ihre Nacken- und Schultermuskulatur zu massieren. Aus dem Zimmer nebenan erklangen Männerstimmen. Laute Stimmen, die sich nach Streit anhörten. Doch das war nichts, was ihn weiter interessieren musste. Nichts auÃerhalb dieses Raums würde auch nur im Entferntesten Einfluss auf sein weiteres Leben haben. Für ihn zählte nur das Hier und Jetzt. Dann wurde es nebenan plötzlich wieder still. Lediglich ihr leises genussvolles Seufzen und die klassische Musik drangen an seine Ohren. Während er sie weiterhin sanft walkte und knetete, versuchte er, den Moment als Erinnerung in sich aufzunehmen. Mit geschlossenen Augen atmete er tief ein. Ein Hauch von Zwiebeln, Fischrogen und Parfum stieg ihm in die Nase. Er spürte, wie sich ihre Muskulatur immer weiter entspannte. Mit leichtem Nachdruck legte er ihr eine Hand ans Kinn und die andere an die Stirn.
Er war sich sicher, dass der richtige Moment gekommen war.
ZWEI
Hauptkommissarin Mannfeld schätzte das Alter des Opfers auf über siebzig. Der schlanke Körper der Frau auf dem Stuhl wirkte ausgesprochen fragil. Brust und Kopf lagen auf der Platte eines kleinen Schreibtischs. Der Kopf der Ermordeten war unnatürlich stark zur Seite abgewinkelt, was die Vermutung nahelegte, dass Genickbruch die Todesursache war.
Sie schlug einen Bogen um das Opfer, um es vom Fenster aus zu betrachten. Die Totenstarre lieà bereits nach. Berücksichtigte man die herrschende Raumtemperatur, musste der Tod vor mindestens zwölf Stunden, also am Montagabend, eingetreten sein. Das kurze grau melierte Haar der Frau war akkurat frisiert und gab im Nacken den Blick auf ein rötliches Geburtsmal frei. Hals und Dekolleté schmückte eine filigran gearbeitete Perlenkette, und am Ringfinger der rechten Hand steckte ein Brillantring mit goldener Fassung. In der klassisch geschnittenen Garderobe â einem sandfarbenen Rock und einer Bluse im Malventon â strahlte die alte Dame selbst im Tod noch Würde und Stil aus. Dass das Jackett zum Kostüm sowie ein mit Pelz gefütterter Wintermantel im Kleiderschrank hingen, war Mannfeld bereits bei ihrer Ankunft aufgefallen.
Während sie mit ihrem Smartphone Fotos von der Leiche schoss, überlegte sie, ob sich Born verfahren haben könnte. Ihr manchmal in Tagträumen versunkener Kollege könnte falsch abgebogen sein und nun im Labyrinth des Parkhauses umherirren. Dabei war das Sheraton am Flughafen wirklich nicht schwer zu finden.
Nachdem sie die letzte Aufnahme gemacht hatte, strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht und betrachtete die Bilder auf dem Display. Auffällig an der Auffindsituation war, dass der Schreibtisch und der Stuhl, auf dem die Tote saÃ, zwischen Tür und Bett standen. So, dass man beinahe in die Möbelstücke hineinlief, wenn man das Zimmer betrat.
Sie wandte den Blick vom Display und schaute sich im Zimmer um. AuÃer ihr waren noch die Kollegen der Kriminaltechnik vor Ort. Bis
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