Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Drogenszene auf der Tagesordnung. Ein paar neue Pusher hatten die Szene aufgemischt und eine Welle von Revierkämpfen ausgelöst. Noch waren keine Toten zu beklagen, aber die Situation drohte zu eskalieren.
Dann musste Logan eine fünfminütige Zusammenfassung über Rosie Williams’ malträtierte Leiche abliefern, ehe Insch wieder übernahm und von dem Brand am gestrigen Abend berichtete. Seine dröhnende Stimme füllte den vollbesetzten Raum aus. Das Feuer war in einem der älteren Gebäude am Kettlebray Crescent ausgebrochen – eine Straße mit verwahrlosten Sozialbauten mit zugenagelten Fenstern, die offiziell als menschenunwürdige Behausungen eingestuft wurden. Das Haus Nummer vierzehn war seit ein paar Monaten von einer Gruppe als Unterschlupf benutzt worden, die aus drei Männern, zwei Frauen und einem neun Monate alten Baby bestand. Alle waren am gestrigen Abend zu Hause gewesen. Was auch den unverwechselbaren Geruch nach angebranntem Fleisch erklärte, der den Feuerwehrleuten entgegengeschlagen war, als es ihnen endlich gelungen war, die Tür aufzubrechen. Es gab keine Überlebenden.
Der Inspector verlagerte sein Gewicht, und der Schreibtisch ächzte unter der Last, während er in seinen Jackentaschen kramte. »Ich brauche ein Team, das die Anwohner befragt, je zwei Straßen weit zu beiden Seiten des Tatorts. Alles, was sie über die Hausbesetzer in Erfahrung bringen können, insbesondere Namen. Ich will wissen, wer sie waren. Team zwei wird die umliegenden Gebäude einschließlich der Gärten und unbebauten Grundstücke durchforsten. Sie«, sagte er in einem fröhlichen Kinderstunden-Singsang, »suchen nach Hinweisen. Wer war der Chefkoch beim gestrigen Grillfest? Bringen Sie mir etwas, womit ich was anfangen kann.«
Während die Teams sich auf den Weg machten, blieb Logan sitzen und gab sich Mühe, nicht ganz so müde und kaputt zu wirken, wie er war.
»Na«, fragte Insch, als der Raum sich geleert hatte, »wann haben Sie denn Ihren Termin mit Dracula?«
Logan sackte noch ein Stück tiefer in seinen Stuhl. »Um halb zwölf.«
Insch fluchte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Jackentaschen zu. »Was ist denn das für eine blöde Uhrzeit? Wieso kann er Sie nicht um sieben herzitieren, wenn er vorhat, Ihnen den Kopf abzureißen? So ist gleich der ganze Vormittag im Arsch …« Ein befriedigtes Grunzen zeigte an, dass er endlich gefunden hatte, was er suchte: eine Tüte Brause-Dinosaurier. Er stopfte sich einen in den Mund und kaute nachdenklich. »Hat er Ihnen gesagt, dass Sie einen Gewerkschaftsvertreter mitbringen sollen?«
Logan schüttelte den Kopf.
»Na, dann wird er Sie vermutlich nicht feuern.« Er wälzte seinen massigen Leib vom Schreibtisch. »Wenn Sie eh erst um halb zwölf bei der spanischen Inquisition auf der Matte stehen müssen, können Sie ja noch Rosie Williams die letzte Ehre erweisen. Die Leichenschau ist um acht. Ich muss wegen dieses verdammten Feuers eine Pressekonferenz geben. Nachdem dieser Arsch von McPherson schon wieder krankfeiert, hab ich auch so schon alle Hände voll zu tun, da muss ich mir nicht auch noch angucken, wie unsere Eiskönigin irgendeine massakrierte Nutte zerlegt. Ich bin sicher, Sie können auch ohne mich die Stellung halten. Also, ab mit Ihnen.« Er wedelte mit seinen Patschhänden. »Hier stehen Sie doch nur im Weg rum.«
Rosie war schon gewaschen, als Logan die Treppe hinuntergeschlurft kam, zu der man über den Parkplatz hinter dem Gebäude gelangte. Das Leichenschauhaus war eine Ansammlung von Räumen unterschiedlicher Größe, versteckt im Kellergeschoss des Präsidiums und ohne direkte Verbindung zum Hauptgebäude. Der Sektionssaal war geräumig: saubere weiße Kacheln und Edelstahltische, die im Schein der Deckenbeleuchtung funkelten, während Desinfektionsmittel und Luftreiniger vergeblich gegen den Gestank nach verbranntem Fleisch ankämpften. An der hinteren Wand standen sechs Rollbahren in einer Reihe, auf denen die Opfer in luftdicht versiegelten weißen Plastik-Leichensäcken lagen. Sozusagen frischeversiegelt.
Logan war nur fünf Minuten zu früh, aber noch war er der einzige lebende Mensch hier unten. Er gähnte ausgiebig und streckte sich, um die Knoten in seinen Schultern zu lösen. Null Stunden Schlaf, gefolgt von über fünf Stunden in einer kalten, stinkenden Gasse, forderten allmählich ihren Tribut. Stöhnend schlurfte er zu Rosies nackter Leiche hinüber. Sie lag auf einem der funkelnden Sektionstische unter der
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