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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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das war pure Einbildung. Die Hölle existierte nicht, denn sonst hätte es ja auch einen Himmel geben müssen. Alles nur Lügen, nur Geschichten. Hinter der Toreinfahrt von Haus Nummer 11 kläffte ein Köter los. Ein hartes tiefes Gebell fiel ein und wurde aus den Nachbargrundstücken vielstimmig erwidert. Das war normal. Wer in dieser Gegend wohnte, hielt meistens zwei Hunde, einen kleinen, nervösen, der Wache halten sollte, und einen scharfen Kampfhund.
    «Alles in Ordnung», murmelte er. Er ging langsam bis zum Mäuerchen vor und legte die AK-47 darauf ab. Das Hundegebell verstummte allmählich. Eine Kinderstimme hinter der Einfriedung von Nummer 15 schrie: «Gib her! Los, gib schon her!»
    Im Garten schräg unter ihm blinkte eine Fläche unwirklich grünen Rasens hinter zwei Akazien hervor. Die Sprinkleranlage war eingeschaltet. Auf der Terrasse saß ein etwa vierzehnjähriges Mädchen, das auf einem Handy herumtippte. Das musste die Tochter sein. Weiter links standen drei Obstbäume, der Form und den Blättern nach Zitronen, Naartjies oder irgendwelche anderen Zitruspflanzen. Im Abstand von circa einem Meter um die Stämme war die Erde kreisförmig aufgeschüttet, sodass sich in der Vertiefung das Wasser sammeln konnte, das aus einem Gartenschlauch lief. Der Mann, der ihn lässig in der Hand hielt, trug verwaschene Shorts und ein weißes T-Shirt, das über seinem Bauch spannte. Hals und Gesicht waren feist und gerötet, die Augen unter dem tiefsitzenden Schirm der Baseballkappe nicht zu erkennen. Dennoch gab es keinen Zweifel, dass es der richtige Mann war. Sein Opfer.
    Er wischte sich ein zweites Mal die Hände ab und griff nach der Kalaschnikow. Als er sie in Anschlag brachte, spürte er den Drang, dem Mann dort unten noch etwas zuzurufen. Dass man früher oder später seine Rechnungen bezahlen müsse. Dass im Tod mehr Wahrheit als im Leben liege. Und dass wenigstens das verdammte Mädchen ins Haus verschwinden solle.
    Natürlich rief er nichts. Er hustete kurz. Die Sonne war untergetaucht, hatte nur ein fahles Orange über der Anhöhe drüben zurückgelassen. Er fühlte eine eigenartige Wut in sich aufsteigen. Auf sich, auf das Leben und auf den fetten Mann dort unten. Wieso musste der ein weißes T-Shirt tragen, ausgerechnet ein weißes T-Shirt? Warum nicht dunkelrot oder schwarz? Wer ein weißes T-Shirt trug, hatte es sich selbst zuzuschreiben, wenn …
    Er presste den Kolben der AK-47 fest an, zielte. Dann zog er den Zeigefinger durch und hielt den Abzug gedrückt. Dauerfeuer. Noch bevor er losließ, sackte das Opfer zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Der Gartenschlauch glitt aus seiner Hand, wand sich und stieg wie eine angegriffene Speikobra. Das Wasser spritzte in Richtung Terrasse. Das Mädchen war aufgesprungen und drückte sich gegen die Ziegelmauer. Mit dem Gesicht zur Wand.
    Das war das Letzte, was er sah. Er ging zum Auto zurück, legte das Gewehr auf den Beifahrersitz, stieg ein und startete den Motor. An der Kreuzung bog er nach links. Er fühlte sich weder besser noch schlechter als sonst. Nicht einmal sein Herz schlug besonders stark. Die Wut war verschwunden, doch nichts anderes war an ihre Stelle getreten. Er hatte früher schon auf Menschen geschossen, doch damals war er Soldat gewesen. Wenn ein Soldat einen anderen tötete, nannte das niemand Mord. Erst jetzt war er ein Killer. Es berührte ihn nicht. Er hatte gedacht, dass es sich anders anfühlen würde, auch wenn er nicht gewusst hatte, wie. Er hustete einmal, zweimal. Dann schaltete er die Scheinwerfer des Toyota an.
     
    Es war 22 Uhr 27, als Kriminalinspectorin Clemencia Garises per Handy von dem Mord erfuhr.
    Der Anruf erreichte sie zu Hause in Katutura, und da der Fernseher in voller Lautstärke lief, brüllte sie ins Telefon, man solle ihr sofort einen Wagen schicken. Der mürrische Kollege vom Telefondienst wies sie darauf hin, dass es Sonntagabend war. Er würde aber sehen, was sich machen ließe. Das bedeutete, dass er gar nichts unternehmen würde. Und dass sie sich nicht so wichtig nehmen solle. Wahrscheinlich hatte man sie überhaupt nur informiert, weil ihre älteren Kollegen am Sonntagabend keine Lust verspürten, irgendwo die Leiche eines Weißen einzusammeln. Clemencia dagegen war ganz froh, von zu Hause wegzukommen. Nach dem Abendessen hatte ihre Familie plus der halben Nachbarschaft vor dem Fernseher gehockt und die Höhepunkte der dritten Staffel von «Big Brother Africa» angesehen. Die namibische

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