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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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allein zu beanspruchen, mochte anmaßend erscheinen, wenn ihre acht bis zwölf hier lebenden Verwandten sich das andere und die Blechhütten, mit denen Garten und Vorhof im Lauf der Jahre zugebaut worden waren, teilen mussten. Doch Clemencia brauchte einfach etwas Eigenes.
    Es gibt zwei Möglichkeiten, hatte sie gesagt, als sie den Posten bei der Polizei bekommen hatte, entweder ich miete mir eine kleine Wohnung im Zentrum und lege dafür zwei Drittel meines Gehalts hin, oder ich schieße das Geld in den Haushalt, aber dann will ich das Zimmer für mich allein. Der Familienrat hatte für die zweite Möglichkeit votiert, was aber nicht bedeutete, dass Clemencias Bedingung wirklich akzeptiert wurde. Im Gegenteil, Tag für Tag musste sie um ihr bisschen Privatsphäre kämpfen. Des Öfteren war sie dessen müde und schon fast entschlossen gewesen auszuziehen, aber das ging ja nicht, wenn sie nicht die Familie vor die Hunde gehen lassen wollte. Mit dem kleinen Gemüsestand, den Miki Selma vor dem Haus betrieb, kam fast nichts herein. Clemencias Schwester Constancia putzte zweimal die Woche in Klein Windhoek, aber sonst hatte keiner ein geregeltes Einkommen. Ohne Clemencias Zuschüsse sähe es düster aus. Zumindest ihr Bruder wäre garantiert auf die schiefe Bahn geraten. Wenn er es nicht sowieso schon war.
    «Mach endlich die Tür auf!», rief Miki Matilda.
    Clemencia warf sich etwas über und öffnete. «Was ist?»
    Miki Matilda beglückwünschte Clemencia zu ihrem gesunden Schlaf, merkte aber im gleichen Atemzug an, dass die Morgenstunden zu dieser Jahreszeit am allerschönsten wären oder, besser gesagt, die einzig erträglichen. Man dürfe sie nicht verschwenden, sondern müsse rüstig sein Tagwerk beginnen, vor allem, wenn man so vom Glück geküsst und gesund sei, wie sie beide, Clemencia und Matilda, was ja leider nicht für alle ihrer Mitmenschen zuträfe.
    «Was willst du?», fragte Clemencia.
    «Es geht um Joseph Tjironda. Den kennst du nicht. Ein guter Freund von Petrus. Der wohnt mit seiner Familie am Rand von Wanaheda.»
    «Was ist mit ihm?», fragte Clemencia.
    Das wusste Miki Matilda nicht so genau. Etwas Ernstes wahrscheinlich, denn Josephs Sohn habe am Telefon sehr besorgt geklungen. Er könne das leider nicht ausführen, da er kein Guthaben mehr auf dem Handy habe, doch Miki Matilda solle bitte sofort zurückrufen. Und zack, habe er aufgelegt.
    «Und warum rufst du nicht zurück?», fragte Clemencia.
    «Ich habe auch kein Guthaben mehr», gestand Miki Matilda.
    Clemencia trat ins Zimmer zurück und holte ihr Handy. Sie achtete darauf, dass Miki Matilda den Zugangscode, den sie beim Einschalten eintippte, nicht mitbekam. Es war ja nicht auszuschließen, dass sie das Handy mal unbeaufsichtigt herumliegen ließe. Sie bat darum, es kurz zu machen.
    Überraschenderweise verzichtete Miki Matilda auf langwierigen Smalltalk und hörte fast ausschließlich zu. In Anbetracht dessen fiel die Erklärung, die sie nach Ende des Telefonats gab, allerdings sehr knapp aus: «Joseph Tjironda ist krank.»
    «Was hat er denn?»
    «Schmerzen.»
    «Kopf, Brust, Magen, linker Oberschenkel, rechter Zeh?»
    «Ich muss ihn erst sehen», sagte Miki Matilda.
    Bei dem Teil ihrer Bekannten, die an traditionelle Heiler glaubten, hatte sie keinen schlechten Ruf, doch wenn sich ihr ein neuer Patient anvertraute, wollte er ihre Fähigkeiten normalerweise erst einmal testen. Die wichtigste Probe bestand darin, dass der Heiler von sich aus sagte, was dem Kranken wehtat. Nicht umgekehrt, wie bei den studierten Ärzten. Einmal durfte man falschliegen, doch wer beim zweiten Versuch nicht erkannt hatte, wo das Problem lag, dem traute logischerweise keiner zu, es lösen zu können.
    «Wie siehst du denn, ob einer Kopf- oder Magenschmerzen hat?», hatte Clemencia einmal gefragt. Miki Matilda hatte gelächelt. Das sehe man halt, wenn man ein wenig Erfahrung besitze. Clemencia ging trotzdem lieber zu einem ausgebildeten Arzt, wenn sie krank war.
    Miki Matilda gab das Handy zurück und sagte: «Ich muss sofort los.»
    «Viel Erfolg!», sagte Clemencia und schlug die Tür zu. Auch sie musste gleich los. Als sie sich angezogen hatte und die Tür wieder öffnete, stand Miki Matilda immer noch davor.
    «Kannst du mir das Taxigeld leihen?», fragte sie. «Bis ich zu Fuß dort ankomme, ist der Mann wahrscheinlich schon tot.»
    Das war wahrscheinlich ziemlich übertrieben, doch Clemencia hatte wenig Lust, sich wochenlang als herzlose Mörderin

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