Die Stunde des Schakals (German Edition)
Vertreterin, die sich für drei Monate Containerleben in Johannesburg qualifiziert hatte, war schon in der zweiten Runde ausgeschieden. Alle waren sich einig gewesen, dass sie ihrem Land keine Ehre gemacht hatte. Sie sei viel zu scheu, zu langweilig gewesen und habe immer so gewirkt, als sei sie nicht sie selbst.
«Clemencia hätte das viel besser gemacht», hatte Miki Matilda gesagt.
«Ich?», hatte Clemencia gefragt.
«So hübsch wie die bist du schon lange. Warum bewirbst du dich nicht mal?»
Clemencia hatte nur abgewunken, doch Miki Selma hatte heftig protestiert. «Soll Clemencia vielleicht mit wildfremden Männern herumknutschen und sich dabei von ganz Afrika zusehen lassen?»
«Eben, ganz Afrika!», hatte Miki Matilda aufgetrumpft. «Es wäre doch gelacht, wenn sich da nicht ein paar ernsthaft für sie interessieren würden. Vielleicht findet sie ja endlich den Richtigen.»
«Mikis …», hatte Clemencia einzuwenden versucht, doch sie war nicht zu Wort gekommen.
«Das ist deine Sache, ich weiß schon, aber seine Meinung wird man ja wohl sagen dürfen.»
«Im Fernsehen hat noch keine ihr Glück gefunden», hatte Miki Selma gesagt. «Clemencia sollte sich lieber in der Nachbarschaft nach einem umsehen, der nicht trinkt und nicht raucht und …»
«Man muss jede Chance nutzen», hatte Miki Matilda eingeworfen.
«Ein Feuer verbrennt den, der es anfacht», hatte Miki Selma mit einem ihrer Lieblingssprichwörter gekontert, doch Miki Matilda hatte sich nicht aus dem Konzept bringen lassen.
«Wie alt bist du jetzt, Clemencia? Neunundzwanzig? Dreißig?», hatte sie lauernd gefragt. Natürlich wusste sie ganz genau, wie alt Clemencia war, doch es hätte nicht viel Sinn gehabt, sich darüber aufzuregen.
Clemencia hatte gesagt: «Einunddreißig.»
«Ein-und-drei-ßig!» Miki Matilda hatte die Silben gedehnt, um das Ungeheuerliche dieser Tatsache zu unterstreichen. «Mit einunddreißig war ich schon fast Großmutter!»
«Als du einunddreißig warst, herrschten hier noch die Südafrikaner. Die Zeiten haben sich geändert. Jetzt ist Namibia unabhängig, und ich, ich bin Kriminalinspectorin», hatte Clemencia geantwortet. Aber sie hätte genauso gut nichts sagen können, denn Matilda und Selma hatten ungerührt weiterdebattiert, was sich für einunddreißigjährige Frauen im Allgemeinen und für Clemencia im Speziellen schickte, und so war sie froh gewesen, als ihr Handy geläutet hatte.
Sie stieg über die Beine ihrer Familienangehörigen und trat vor die Tür ins Freie. Die Ziegelmauer strahlte die tagsüber gespeicherte Hitze ab. Die Luft war wie warmes, weiches Wasser, und über Clemencia spannte sich ein sternklarer Nachthimmel. Schwarz zeichnete sich der Kirchturm der Holy Redeemer Parish vor ihm ab. Irgendwo aus dem Halbdunkel zwischen den einstöckigen Häusern und den um sie errichteten Blechhütten war unverständliches Palaver zu hören, das in ein lautes Gelächter mündete. Vom anderen Ende der Straße her tönten die dumpfen Bässe von Kwaito-Musik. Sie kam aus der Mshasho Bar, in der sich wahrscheinlich Clemencias jüngerer Bruder Melvin gerade mit Tombo-Bier betrank. Irgendwann musste sie noch einmal versuchen, ihm ins Gewissen zu reden.
Vor dem Haus schräg gegenüber kam der Nachbar mit seinem klapprigen Ford an, den er mit dem Kauf eines entsprechenden Schildes zum Taxi aufgewertet hatte. Illegal natürlich, aber das störte Clemencia jetzt wenig. Der Mann hatte eine Zwölfstundenschicht hinter sich und war alles andere als begeistert, erklärte sich aber angesichts ihrer Stellung als Polizistin bereit, sie ans andere Ende der Stadt zu chauffieren. In Katutura musste man noch auf Passanten achten, doch die weißen Viertel von Windhoek waren um diese Zeit wie ausgestorben. Wenn man die roten Ampeln ignorierte, kam man zügig voran. Auf der Nelson Mandela Avenue ließ Clemencia den Fahrer Gas geben. Kaum zehn Minuten später quälte sich der Ford den Berg von Ludwigsdorf hoch, und dann waren sie da. Vor einer verschlossenen Toreinfahrt standen zwei Wagen der City Police. Die Straße war nicht abgesperrt, kein Beamter war zu sehen.
Clemencia stieg aus und fand die Klingel rechts neben der Toreinfahrt. Ein Namensschild gab es nicht. Clemencia drückte auf den Klingelknopf. Die Luft war immer noch warm und weich, doch sie roch nach Tod. Vielleicht lag es auch nur an dieser unwirklichen Stille, wie sie in Katutura nicht einmal in den tiefsten Stunden der Nacht herrschen würde. Clemencia
Weitere Kostenlose Bücher