Die Suche nach dem verborgenen Glück
brauchte er lange, um zu verstehen. Die Antworten kamen in Gestalt flüsternder Winde, plötzlicher Entladungen natürlicher Energie, die ihn durchströmte, beherrschte und zur Wahrheit führte. Er wusste, dass seine Schwester abermals gegenwärtig war. Selbst im Tod ließ sie ihn nicht im Stich. Sie war Teil der Natur und benutzte diese, um mit ihm zu kommunizieren. Nachdem sie sich zurückgezogen hatte, öffnete David die Augen; er hatte keine Ahnung, dass er über eine Stunde still gewesen war.
»Ich vermute, dass dieses Bild die Bedeutung des Glücks in meinem Leben veranschaulicht. Einfach ausgedrückt: Es zeigt mir, warum ich glücklich sein sollte.«
Der Mann nickte. Er war beeindruckt, dass der junge Indianer so schnell lernte. »Wodurch wird das Glück in diesem Bild dargestellt?«
»Durch das Feuer. Der Mann nutzt es für verschiedene Dinge.«
»Sind diese von Vorteil oder von Nachteil?«
»Von Vorteil. Mit Hilfe des Feuers kocht er und hält sich warm.«
»Sind diese Dinge für das Leben notwendig?«
»Nun, ein Mensch kann ohne Nahrung oder in allzu großer Kälte nicht leben. Allerdings könnte er auch ohne Feuer über die Runden kommen. Er würde das Fleisch roh essen und müsste dicke Felle tragen, um nicht zu frieren.«
»Ist das etwas Gutes oder etwas Schlechtes?«
»Sein Leben wäre ohne Feuer viel armseliger, also nehme ich an, dass es etwas Schlechtes ist.«
»Sag mir, was das mit dem Glück zu tun hat.«
»Naja, man braucht das Glück nicht, um zu leben, aber es macht alles angenehmer und schöner. Mit Hilfe von Glück kann man vieles tun - genauso wie mit dem Feuer. Das Glück ist die beste Methode, eben jenes Leben zu führen, das man sich ersehnt.«
»Gut. Was verbindet das Feuer sonst noch mit dem Glück?«
»Nun, man muss das Feuer unterhalten, damit es weiterhin brennt. Sonst geht es aus. Dementsprechend kann man nicht immer glücklich sein, wenn man das Glück nicht erlernt und daran gearbeitet hat.«
»Muss man jeden Augenblick daran arbeiten, glücklich zu sein?«
»Nein. Genauso wenig, wie man dauernd etwas auf das Feuer legen muss, muss man dauernd am Glück arbeiten. Erst wenn die Flamme kleiner wird, braucht sie neue Nahrung. Das Gleiche gilt für das Glück.«
»Richtig. Beantworte mir nun folgende Frage: Brennt ein Feuer besser, wenn man es nur bei niedriger Flamme versorgt oder wenn man, selbst wenn es gut brennt, Brennmaterial hinzufügt?«
»Es würde besser brennen, wenn man, selbst wenn es gut brennt, Brennmaterial hineingäbe.«
»Kann irgendetwas Äußeres das Feuer auslöschen?«
»Nicht wenn derjenige, der das Feuer entzündet hat, sich intensiv darum kümmert, dass es immer wieder auflodert. Er kann die Flammen abdecken bei Regen, kann sie schützen gegen den Wind. Unsere Ahnen haben sich hingebungsvoll dem Feuer gewidmet und es jeweils jahrelang brennen lassen. Nichts konnte es ersticken. Der Stamm trug die Verantwortung dafür, dass es die ganze Zeit, sommers wie winters, hell brannte.«
»Du kommst dem Wesentlichen sehr nahe. Nur noch eines musst du verstehen. Erkläre mir, welche weitere Beziehung zwischen Feuer und Glück besteht.«
Es dauerte lange, bis David antwortete. Schließlich erklärte er: »Man hat Feuer oder hat es nicht. Man kann nichts fast ein Feuer haben - die Flamme brennt oder brennt nicht. Das Gleiche lässt sich über das Glück sagen. Entweder ist man glücklich oder ist nicht glücklich. Man kann nicht teilweise glücklich sein - das ist unmöglich.«
Der Mann schaute kurz auf und lächelte. »Ich bin sehr erfreut über deine bisherigen Fortschritte. Du wirst allmählich weise.«
David war noch nie als »weise« bezeichnet worden. Er wurde wie sein ate - ein Mann, den er tief bewunderte. Er sagte demütig: »Ich habe das Gefühl, noch einen weiten Weg zurücklegen zu müssen.«
»Der Weg ist im Grunde sehr kurz. Da du nun weißt, was das Bild bedeutet, besteht unser nächster Schritt darin, zu verstehen, welchen Zweck das Feuer hat und warum es in deinem Leben wichtig ist.«
»Oder warum das Glück im Leben eines Menschen wichtig ist?« Der Mann nickte und schloss die Augen, bevor er begann. »Glück ist ein wunderbares Gefühl. Nichts sonst in der Welt vermittelt dir ein so gutes Gefühl in Bezug auf dein Leben. Doch wie dem Licht eignet auch dem Glück ein Widerpart oder Gegensatz. Er hat in vielen Sprachen viele Namen. Sicherlich hast du davon schon gehört. In unserer Sprache nennen wir ihn cantesica. Der Wasicu würde
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