Die Suche
Peperoni. Man stand in Flammen, aus den Augen schossen Tränen, und man konnte jedem Bissen, jedem Schluck nachspüren, wie er die Speiseröhre hinunterglitt. Dieses unglaubliche Gefühl, am Leben zu sein, es mit jeder Faser zu spüren. Wenn man als Werwolf überhaupt von Leben sprechen konnte.
Hitze durchströmte seine Lenden, ihre Panik schürte sein Verlangen. Nur ein kleines Stück von ihr. Ja, sie wäre dann verdammt für immer, denn er würde sofort sein Gift in sie spritzen. Die Bakterien würden sich mit ihrem Blut vermischen und sie transformieren - zu einer von seiner Art. Wie viele tausend hatte er schon erschaffen und wie viele hatte er durch die Jäger verloren? Hass strömte durch seine Adern, als ihr Name immer wieder in seinem Kopf widerhallte. Zwei Dinge waren es, die seinem Leben Sinn gaben: Anna und die Jäger. Brüllend erhob er sich, ballte seine Fäuste, biss die Zähne aufeinander und blickte hinunter auf sein Opfer, das sich immer kleiner zu machen versuchte. Es wimmerte und weinte, ihr Zittern ging ihm durch und durch.
„Du willst dich vor mir verstecken? Du Närrin.“ Er gab dem Verlangen nach, beugte sich über sie und riss ihre Leggins entzwei. Weißes, zartes Fleisch erblühte zwischen den Fetzen des Kleidungsstückes. Ihre Schreie klangen wie Melodien in seinen Ohren. Er öffnete ihre Haut mit den Zähnen und biss ein faustgroßes Stück aus ihrem Oberschenkel. Ihr dunkles, rotes Blut sprudelte nach oben. Marcus schlang das Fleisch in einem Stück hinunter. Er kam allerdings nicht mehr dazu, ihr wegen des Aromas ein Kompliment zu machen, denn sie war schon ohnmächtig geworden.
„Schade, ich hätte gerne noch mit dir geplaudert, meine Liebe. Oh, da fällt mir ein. Ich muss noch eine ganz wichtige Nachricht verschicken. Wir sehen uns später.“
Die blutverschmierten Hände wischte er an seiner Hose ab, zog das Handy aus der Hosentasche und tippte beim Hinausgehen.
„Versorgt sie. Ich komme später wieder“, murmelte er den Wachen zu, packte sein Handy zurück und schlenderte mit einem wölfischen Grinsen in die Nacht.
2. Kapitel
Frankfurt am Main Flughafen - London, Herbst 2012
« Wenn du reden willst... ich kann hier nicht weglaufen »
Nachdenklich drehte ich meinen neuen Pass in den Fingern, ohne wirklich darauf zu schauen. Noch immer hatte ich mich nicht an mein verändertes Aussehen gewöhnt, ich wollte nicht auch noch das Foto sehen. Wie durch Watte hörte ich die üblichen Durchsagen auf einem Flughafen und den einleitenden Gong, der mich immer an eine Schule erinnerte.
Achtung bitte! Dies ist der letzte Aufruf für den Lufthansaflug LH710 nach Tokyo. Alle Passagiere werden gebeten, sich umgehend zum Flugsteig A13 zu begeben.
Attention please! This is the last call for Lufthansa-Flight LH710 to Tokyo. All passengers are requested to proceed to gate A13 immediately.
Ich war es gewohnt, dass mich die Leute anstarrten. Bewundernd die Männer, neidisch die Frauen. Und plötzlich starrte niemand mehr. Der Mantel aus Blicken, der mich seit Jahrhunderten umgab, war verschwunden, und ich fühlte mich nackt. Und plötzlich fiel mir ein, dass Alexa mich nie neidisch angesehen hatte. Sie war von Anfang an gewesen wie … wie Alexa eben. Fröhlich, unkompliziert, vor Energie sprühend. Ein dicker Kloß saß mir im Hals. Einer von denen, die man nicht runterschlucken konnte. Und was hatte ich gemacht? Ihr den Freund ausgespannt. Toll, Anna. Und als wäre das nicht schon genug, schwebte sie jetzt in Lebensgefahr. Weil ich zu leichtsinnig gewesen war. Meine Interessen vor alles andere gestellt hatte. Wütend auf mich selbst, bog ich den Pass zwischen meinen Fingern, als ihn mir jemand aus der Hand zog.
„Der Pass kann da auch nix für. Und den brauchst du noch.“ Samuel. Er stand hinter dem Stuhl, auf dem ich saß, und beugte sich zu mir runter. Ich seufzte den Schmerz in meiner Brust fort und drehte mich zu ihm. Schwarze Haarsträhnen fielen ihm in die Augen, und als er die Hand hob, um sie wegzustreichen, kam ich ihm zuvor. Sam umrundete die unbequeme Sitzreihe, stellte seinen Rucksack zwischen seine Beine auf den Boden und setzte sich neben mich. Er beugte sich zu mir, als wolle er mich küssen, doch ich drehte den Kopf weg. Dieser Kloß ließ sich nicht schlucken, und er ließ sich auch nicht wegküssen.
Sam war feinfühlig genug, um auf Abstand zu gehen, ohne sich einen Kommentar zu erlauben.
„Kaugummi?“
„Ich hasse Kaugummis.“
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