Die Sünden des Highlanders
lieber wäre, du würdest die Frau nicht als Hexe bezeichnen. Das ist ein Wort, das einer Frau, die Gott mit einer Gabe gesegnet hat, viel Ärger einhandeln kann, manchmal sogar tödlichen Ärger.«
»Aye, aye, das stimmt wohl. Eine Gabe Gottes, meint Ihr?«
»Glaubst du wirklich, der Teufel würde einer Frau die Gabe verleihen zu heilen oder die Wahrheit zu finden, oder sonst eine Gabe oder Fähigkeit, mit der den Leuten geholfen werden kann?«
»Nay, natürlich nicht. Aber warum zweifelt Ihr dann an dieser Ross?«
»Weil es zu viele Frauen gibt, die sich bestenfalls mit Kräutern auskennen und dennoch behaupten, sie hätten Visionen oder heilende Hände, nur um irgendeinem Gimpel das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das sind Betrügerinnen, und oft erschwert das, was sie tun, das Leben der Frauen, die tatsächlich eine Gabe haben.«
Walter verzog das Gesicht, offenkundig dachte er nach. Schließlich stimmte er grummelnd zu. »Ihr werdet also nicht versuchen, von Mistress Ross Hilfe zu bekommen?«
»Nay, so verzweifelt bin ich wahrhaftig nicht.«
»Nun, ich bin mir nicht so sicher, ob ich in dieser Situation Hilfe ausschlagen würde«, erklang auf einmal eine kühle, scharfe Stimme von der Schwelle zu Tormands Großer Halle.
Tormand blickte zur Tür und lächelte Simon an, doch sein Lächeln erstarb rasch. Sir Simon Innes wirkte in diesem Moment vom Scheitel bis zur Sohle wie ein Mann des Königs. Sein bleiches, scharfkantiges Antlitz war von kalter Wut verzerrt. Tormand beschlich das unselige Gefühl, dass Simon bereits wusste, warum er nach ihm geschickt hatte. Schlimmer noch – er befürchtete, sein Freund hege Zweifel an seiner Unschuld. Das tat weh, doch Tormand beschloss, erst einmal darüber hinwegzusehen, bis er mit Simon geredet hatte. Der Mann war sein Freund und glaubte mit allen Fasern seines Seins an die Gerechtigkeit. Bevor er handelte, würde er ihm zuhören.
Dennoch verspannte sich Tormand zusehends, als Simon näher trat. Alles an dem großen, schlanken Mann war vor Wut verzerrt. Aus den Augenwinkeln bemerkte Tormand, dass Walter unwillkürlich nach seinem Schwert griff. Also war er, Tormand, nicht der Einzige, der Gefahr witterte. Erst als sein Blick wieder auf Simon fiel, merkte er, dass der Mann die Faust ballte, seine Finger etwas fest umschlossen.
Er musste nicht lange warten, um zu sehen, was es war. Simon öffnete die Hand und warf den Inhalt auf den Tisch, Tormand direkt unter die Nase. Tormand starrte auf einen schweren goldenen Ring, verziert mit blutroten Granaten. Er traute seinen Augen kaum, sah auf seine Hände, seine ringlosen Finger, und dann wieder auf den Ring. Sofort schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie er nur aus diesem Zimmer des Todes hatte gehen können, ohne zu bemerken, dass er seinen Ring nicht mehr trug. Sein nächster Gedanke war, dass sich die Spitze von Simons Schwert an seiner Kehle gefährlich scharf anfühlte.
* * *
»Nay! Tötet ihn nicht! Er ist unschuldig!«
Morainn Ross blinzelte überrascht und sah sich um. Sie war zu Hause und saß kerzengerade in ihrem Bett, nicht in einer Großen Halle, in der sie einen Mann gesehen hatte, der eine Schwertspitze gegen den Hals eines anderen Mannes drückte. Ohne auf ihre murrenden Katzen zu achten, die ihr Schrei aus ihrem gemütlichen Schlaf gerissen hatte, ließ sie sich wieder aufs Bett sinken und starrte an die Decke. Es war nur ein Traum gewesen.
»Nay, kein Traum«, sagte sie nachdenklich. »Eine Vision.«
Sie dachte noch etwas darüber nach, dann nickte sie bestätigend. Es war ganz sicher eine Vision gewesen. Der Mann mit der Schwertspitze am Hals war ihr nicht unbekannt. Sie hatte ihn seit vielen Monaten in ihren Visionen und Träumen gesehen. Er hatte nach Tod gerochen, er war von Tod umgeben gewesen, doch an seinen Händen hatte kein Blut geklebt.
»Morainn? Geht es dir gut?« Morainn sah zur Tür ihrer kleinen Schlafkammer und lächelte den Knaben an, der dort stand. Walin war erst sechs, aber schon eine große Hilfe. Allerdings war er immer höchst besorgt um Morainn. Aber das war wohl kein Wunder. Sie hatte ihn auf ihrer Schwelle gefunden, als er kaum zwei Jahre alt gewesen war, und seitdem kümmerte sie sich wie eine Mutter um ihn und bot ihm das einzige Heim, das er je gekannt hatte. Sie wünschte nur, sie hätte ihm ein besseres bieten können. Inzwischen war er alt genug, um zu verstehen, dass man sie oft als Hexe bezeichnete, und er wusste auch, wie gefährlich das sein konnte. Leider
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