Die Sündenheilerin (German Edition)
Bein vermochte. Dabei bereitete ihm das Stehen sichtlich Mühe. Sie lächelte ihn freundlich an. »Sei mir willkommen, Ortwin vom Mühltal.« Seinen Namen hatte ihr Schwester Ludovika genannt, ehe sie den Mann in den Besucherraum des Klosters vorgelassen hatte.
»Ich danke Euch, ehrwürdige Schwester.« Er wagte kaum, ihr ins Gesicht zu sehen. Lenas Hände wurden wieder feucht. Sie war keine Schwester, auch wenn man ihre dunkle Kleidung leicht mit einem Ordenshabit verwechseln konnte.
»Setz dich bitte. Und sag mir, welches Leid führt dich hierher?« In ihrem Innersten hoffte sie, er möge kein Wunder von ihr erwarten.
Ortwin schob seine Krücke etwas umständlich nach vorn, sorgsam darauf bedacht, das Gleichgewicht zu halten, und ließ sich auf der schmalen Holzbank nieder. Sein Blick strahlte noch immer diese seltsame Mischung aus Hoffnung und Furcht aus. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass er saß, während sie noch stand. Lena lächelte ihm aufmunternd zu, zog ihren kleinen Schemel heran und nahm ihm gegenüber Platz, anstatt, wie es unter den Schwestern üblich war, auf der Bankreihe an der anderen Seite des kahlen Besucherraumes.
Es dauerte eine Weile, ehe Ortwin den Mut fand, auf Lenas Frage zu antworten.
»Mir ist, als wäre das Bein noch da und würde mich von früh bis spät grausam zwacken.« Seine Stimme klang zaghaft, fast so, als hätte er Furcht, sie mit seinem Leid zu belästigen. Vorsichtig hob er den Oberschenkelstumpf an, den er sorgsam in einen umgeschlagenen Beinling gehüllt hatte. Doch es war nicht das Bein, dem Lenas Aufmerksamkeit galt. Sie blickte in sein Gesicht. Wind und Wetter hatten ihre Spuren hinterlassen, tiefe Furchen umgaben Ortwins Mund, machten ihn älter, als er wahrscheinlich war. Und doch zeigten sie, dass er früher oft gelacht hatte. Früher … allzu lange konnte es nicht her sein, denn sein tiefdunkles Haar verriet, dass er noch keine dreißig war. Sie forschte in seinen Augen, suchte nach der Seelenflamme, jenem Funken, der die Menschen zum Strahlen brachte und ihre Einheit mit Gott bezeugte. Ortwins Flamme war fast verloschen, ein letztes Aufglimmen alter Glut.
»Beschreibe mir deinen Schmerz«, forderte sie ihn auf.
Er senkte die Lider, denn er war es nicht gewohnt, einer hochgestellten Dame unverwandt in die Augen zu sehen.
»Die Zehen brennen und treiben das Feuer in den Unterschenkel, obwohl da doch nichts mehr ist. Man könnt glauben, der Brand wär noch im Bein, dabei ist’s schon drei Jahre her.«
»Und bislang vermochte nichts, die Pein zu lindern?«
Ortwin schüttelte den Kopf. »Der Bader sagte, der Schmerz würde vergehen, wenn die Wunde ausgeheilt ist.« Er seufzte. »Danach war’s aber noch ärger.«
»Gott ist groß in seiner Gnade.« Sie beugte sich vor und legte die Hände behutsam auf den Beinstumpf des Mannes. Die breiten Narbenwülste ließen sich sogar durch den Stoff ertasten. Er zuckte kurz zurück, doch dann atmete er tief durch, als verschaffe ihm allein ihre Berührung Linderung. Sie hatte das schon oft erlebt. Je fester der Glaube eines Menschen, umso wirksamer die Hilfe.
»Lass die Erinnerung fahren, gib sie in Gottes Hand. Solange du in der Vergangenheit lebst, wird dein Bein schmerzen, als wäre es noch ein Teil deiner selbst.«
»Wie kann ich das?« Für einen Moment glaubte Lena das Glitzern von Tränen in seinen Augen zu erkennen. War es Trauer? Zorn? Oder gar beides?
»Kämpf nicht länger gegen die Beschwernis. Nimm sie an als Bürde, damit in dir das Werk Gottes offenbar werden kann.«
»Das Werk Gottes? In mir?« Der Zweifel in seiner Stimme war unüberhörbar, doch Lena ließ sich nicht beirren.
»Mildtätig sei der Mensch, duldsam in seinem Leid. Die Pflicht, Almosen zu geben, geht Hand in Hand mit dem Gebot, sein Schicksal anzunehmen. Sei anderen Leidenden ein Vorbild, hilf denen, die schwächer sind, und nimm die Güte derer an, die stärker sind. Nur dann wird sich an jedem Tag deines Lebens die Güte Gottes offenbaren. Dein Schmerz ist eine Mahnung, deine Bürde anzunehmen. Wenn du dieser Mahnung folgst, verliert der Schmerz seinen Sinn und wird vergehen.«
»Ist das wirklich wahr?« Ein leiser Hoffnungsfunke ließ seine Seelenflamme heller strahlen und vertrieb die ungeweinten Tränen aus seinen Augen.
»Es ist wahr«, bestätigte Lena. »Gott wird dir deinen Schmerz nehmen, wenn du lernst, dein Los als gegeben hinzunehmen.«
So wie er ihn mir nahm, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie strich noch einige Male
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