Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
Monsignore Giorgio sich auf ein Handzeichen Seiner Heiligkeit zurückzog, blieb Monteleone vor dem Stuhl des Heiligen Vaters stehen. Seine Miene war ernst, denn er wusste, dass er einen Kampf ausfechten musste, den er nur verlieren konnte.
Nachdem Benedikt XVI. den Kardinal eine halbe Minute lang hatte warten lassen, bemühte er sich um einen unverfänglichen Einstieg in das Gespräch. »Mein lieber Monteleone, wie geht es Ihnen? Ist Ihr Rheuma immer noch so schlimm?«
Der Kardinal versteifte sich. Er sah in dem Hinweis auf das Gebrechen, das ihn bei der letzten Audienz gequält hatte, den Versuch, ihn als hinfällig darzustellen. Wollte der Papst gesundheitliche Gründe vorschieben, um ihn zur Emeritierung zu zwingen?, fragte er sich und versuchte zu kontern.
»Mir geht es ausgezeichnet, Heiliger Vater. Sie hingegen sehen ein wenig abgespannt aus.« Immerhin war der Papst älter als er und dachte trotzdem nicht daran, abzutreten.
Der Papst maß den Kardinal mit tadelndem Blick. »Ich habe gehofft, Sie würden von sich aus zur Einsicht gelangen und mich um Ihre Emeritierung bitten. Ihnen zu Gefallen habe ich Weihbischof Winter, der Ihre Ansichten weitestgehend teilt, zum Kardinal ernannt. Zwei von Ihrer Art werde ich jedoch nicht in der Kurie dulden.«
Das war nicht der sanfte Papst, sondern wieder der harsche Kardinal aus Bayern, der keiner Herausforderung aus dem Weg gegangen war.
Monteleone war jedoch nicht bereit, klein beizugeben. »Verzeihen Sie, Heiliger Vater, doch ich halte diese Altersregel für Unsinn. Warum soll ein Mann, der unserer heiligen Kirche zeit seines Lebens treu gedient hat, plötzlich abgeschoben werden wie ein Pferd, das zum Metzger kommt? Ausgerechnet jetzt, da die Säulen des Glaubens wanken und die Flut der Muslime bereits die Mauern des Petersdoms umspült, kann ich nicht zulassen, dass diese fanatischen Heiden unseren heiligsten Dom in eine Moschee verwandeln und die Statuen der Gottesgebärerin Maria und die all unserer Heiligen zerschlagen und auf den Müll werfen. Noch nie befand unser Glaube, befand sich Europa selbst in einer so gefährlichen Situation. Männer, denen nichts heilig ist, nagen an den Wurzeln unserer apostolischen Kirche, um sie zu Fall zu bringen. Da kann ich mich nicht einfach davonstehlen und tatenlos zuschauen.«
In seiner Erregung trug Monteleone dem Papst die Schlagworte vor, mit denen er während der letzten Wochen von dem nun zum Kardinal ernannten Franz Winter bombardiert worden war.
Benedikt XVI. hörte einige Augenblicke zu, dann schlug er mit der flachen Hand auf die Lehne seines Stuhles. »Schluss damit! Wollen Sie wegen ein paar verirrter Narren, die glauben, im Namen ihrer Religion morden zu müssen, einen neuen Kreuzzug beginnen? Ich erinnere Sie nur daran, wie es den Amerikanern im Irak ergangen ist. Sie kamen mit den Worten, Frieden und Freiheit zu bringen, doch als sie gingen, war das halbe Land im Blut erstickt.«
»Es geht nicht um den Irak oder ein anderes muslimisches Land, sondern um Europa!«, donnerte Monteleone ihn an.
Der Papst biss sich verärgert auf die Lippe. »Wieso können Sie nicht begreifen, dass Gewalt immer wieder nur Gewalt erzeugt? Diplomatie und andauernde Gespräche mit islamischen Würdenträgern sind eine weitaus stärkere Waffe gegen den Terror.«
Mit einer energischen Bewegung, die seinem hohen Alter Hohn sprach, erhob Benedikt XVI. sich und blickte Monteleone kalt an. »Jetzt bedaure ich es, Ihren Wunsch erfüllt und Winter mit Purpur bekleidet zu haben. Wie es aussieht, werde ich diesen Mann im Auge behalten müssen. Was Sie betrifft, so werden Sie sich ins Kloster San Isidoro zurückziehen und dort so lange in strenger Klausur bleiben, bis mir Ihr Rücktrittsgesuch vorliegt. Und nun gehen Sie mit Gott!«
So wollte Monteleone sich nicht abspeisen lassen. Doch bevor er eine geharnischte Gegenrede beginnen konnte, betätigte der Papst die Gegensprechanlage. Zwei baumlange Soldaten der Schweizer Garde traten ein und nahmen den Kardinal in die Mitte.
»Auch auf diese Weise werden Sie mich nicht zum Schweigen
bringen!«, rief er, während die Schweizer ihn unter den Armen fassten und hinausführten. Als sich die Tür hinter ihm schloss, barg der Papst den Kopf in den Händen und fühlte, wie die Kraft, die er für dieses Gespräch mühsam zusammengerafft hatte, wieder schwand.
ZWEI
I n gewissen kirchlichen Kreisen um München herum brach Jubel aus, als die Nachricht von Weihbischof Winters Ernennung zum
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