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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heidenreich
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Ereignisse überschlugen sich, die Bürger der Stadt erlebten jeden Tag neue Überraschungen, wurden von Verordnungen, Veränderungen und Verboten überrannt. Kaum einer hatte noch einen Überblick über Verwaltungsstrukturen, Zuständigkeiten und Befugnisse. Alte Regeln galten nicht mehr und neue waren noch nicht im Umlauf. Niemand wusste noch, an wen er sich mit seinen täglichen Problemen wenden konnte. Die Verwaltungen der Arrondissements waren überfordert und die Stadtregierung samt Stadtrat und Bürgermeister fühlten sich weder zuständig noch betroffen. Mögen doch die Verantwortlichen der Arrondissements selbst ihre Probleme lösen. Und möglichst diskret und vor allem schnell.. Und die taten das dann auch. Sie zogen irgendwann die Reißleine.
    Francoire hatte sich nie um die Veränderungen gekümmert, die um ihn herum kaum merklich und trotzdem unaufhaltsam begannen, das tagtäglich Leben zu beeinflussen. Er hielt sich immer für unpolitisch und sah sich „denen da oben“ sowieso schutzlos ausgeliefert. Das störte ihn auch nicht, solange alles sonst blieb wie es war.
    So blieb es aber eben nicht. An diesem Samstag im August wurden in einer generalstabsmäßig organisierten Aktion die Grenzen zwischen den Arrondissements „West“ und „Ost“ - wie man sie seit einigen Wochen jetzt unverhohlen und öffentlich nannte - die bisher reine Verwaltungsgrenzen waren,  zu einer Art „Staatsgrenze“ ausgerufen und zunächst provisorisch gegen ein unberechtigtes Überschreiten gesichert.
    Die Rue d’ Amsterdam bildete seit jeher die Grenze zwischen dem 8. und dem 9. Arrondissement. Und damit war auch ihr Schicksal besiegelt. Die provisorisch eingerichteten Stadtverwaltungen von „Freier Stadt Paris“ und „Paris/Ost“ hatten, lange bevor es die Bürger wahrnehmen konnten, einen Grenzverlauf ausgehandelt. Wobei der Begriff „aushandeln“ nicht im entferntesten dazu geeignet war, die hitzigen Debatten und das kleinliche Geschacher um Plätze, Strassen und strategisch wichtige Punkte zu beschreiben. Jede der Parteien war bemüht, so viel wie möglich historisch wichtige und touristisch wertvolle Bauten und Sehenswürdigkeiten auf das jeweils eigene Stadtgebiet zu bekommen, ohne jedoch auch missliebige Stadtgebiete dabei übernehmen zu müssen. Und so ergab sich mitunter ein kurioser Grenzverlauf, falls man in diesem Zusammenhang mit derart harmlosen Worten die Dramatik und die Absurdität der Geschehnisse beschreiben kann.
    Das unnachgiebige Gerangel um Stadtgebiete führte dazu, dass die „Grenze“ manchmal, wie zum Beispiel in der Rue d’ Amsterdam, direkt auf der Straßenmitte verlief, Plätze mittendurch trennte, quer über Friedhöfe oder direkt am Seine Ufer entlang ging. An manchen Stellen der Stadt, an denen man sich nicht auf einen gemeinsamen Grenzverlauf einigen konnte, wurden ganze Flächen ausgespart und zu Niemandsland erklärt. Und so lag seither der Place de la Concorde, einer der ehemals verkehrsreichsten Plätze der Welt, ebenso verwaist, wie der Platz um den Arc de Triomphe, der nun ein trauriges Inseldasein zwischen zwei endlosen Betonmauern führte.  Dumpfe Leere, wo sonst der Verkehr rund um die Uhr nicht zur Ruhe kam. Die weltberühmte Champs Elysées zwischen diesen beiden Plätzen verkam zu einer tristen, breiten Straße ohne jeglichen Verkehr. Sie gehörte nun den unzähligen Tauben und den „Mauertouristen“, die von der neuen „Attraktion“ magnetisch  in Scharen angezogen wurden und die gekommen waren, sich dem gruseligen Schauer hinzugeben und vor der Pariser Mauer zu posieren.
    Francoire hatte eine kleine Wohnung in der Rue Championnet im 18. Arrondissement. Unweit der Basilique du Sacre Coeuer am Montmartre. Von da fuhr er jeden morgen mit der Metro Linie 12 zur Arbeit in die Rue d’ Amsterdam. In der Station Marcadet Poissonniers stieg er ein und bis zum Gare Saint-Lazare  waren es acht Stationen. Die Fahrt dauerte genau vierunddreißig Minuten und bis zum Salon von Madame Gremont waren es noch einmal drei Minuten zu Fuß.
    Zu seinem Pech führte die alte Route der Linie 12 etwa 1200 Meter durch das 9. Arrondissement und damit durch das jetzige „Ost-Paris“. Jahrelange Verhandlungen über Metrostreckenverläufe und Zuständigkeiten hatten kein Ergebnis gebracht und so wurden ganze Strecken einfach abgeschnitten. Stillgelegt und die Eingänge vermauert.
    Nun musste er nach vier Stationen in der Station Pigalle in die Linie 2 umsteigen, dann weitere zwei

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