Die Tiefen deines Herzens
mich.
War das noch Freundschaft, die ich für Felix empfand? Oder Liebe? Und wenn ja, wann war aus Vertrautheit Zuneigung erwacht? Oder bildete ich mir das alles nur ein, weil ich Angst hatte, Felix zu verlieren? Aber warum kam er mir plötzlich so fremd vor? Wieso schämte ich mich mit einem Mal meiner nassen Unterwäsche?
»Felix, was …«, krächzte ich. Aber er bremste mich. Behutsam umfasste er meinen Hinterkopf und kam mit seinem Gesicht so dicht an meins, dass ich seinen Atem spüren konnte.
»Leni«, raunte er mit einer Stimme, die mir durch und durch ging. »Bist du meine Freundin?«
Ich formte mit den Lippen ein Ja, aber einen Laut brachte ich nicht hervor.
Felix’ Mund wanderte zu meinem linken Ohrläppchen, küsste es sanft, bevor seine Lippen über meine Wange strichen. Nur ein Hauch, wie eine Feder – zart und doch so voller Leidenschaft, dass ich das Gefühl hatte, innerlich zu verbrennen.
Oh Gott, ja, ich war seine Freundin. Aber anders als noch vor ein paar Tagen, Stunden, Minuten. Zum ersten Mal, seit ich Felix kannte, wollte ich ihn spüren. Sehnte mich körperlich nach ihm. Nicht als meinen allerbesten Freund, meinen Kumpel. Ich war bereit, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie der nächste Schritt aussehen würde.
Aber Felix wusste, wie das ging. Wonach ich verlangte. Was er wollte. Seine Lippen fanden meine und seine Zunge bahnte sich einen Weg in meinen Mund. So zärtlich, so unfassbar liebevoll, dass mir die Luft wegblieb. Ich war wie paralysiert. Unfähig, mich zu bewegen, lag ich einfach nur da und genoss diesen Kuss und Felix’ Nähe mit jeder Faser meines Körpers.
Genauso plötzlich, wie er mich geküsst hatte, löste er sich wieder von mir und sah mich eindringlich an. »Du hast mich schon als achtjährigen Jungen total umgehauen. Als du auf einmal vor unserer Tür standest und unbedingt in mein Baumhaus wolltest. Wie du mich angeschaut hast, dein Lachen mit dieser breiten Zahnlücke, die unzähligen Sommersprossen und deine Fröhlichkeit. Weißt du …« Er hielt kurz inne, fasste meine Hand, führte sie an seinen Mund und küsste sie. So viel tiefe Zuneigung steckte in dieser Geste, dass es meinem Herzen einen Stich versetzte. »… du hast mich mit deiner lockeren Art einfach von den Socken gehauen. Es war so ein unvermittelter Schlag, so mitten rein in die Magengrube. Ich fühlte mich mickrig und groß zugleich. Und da habe ich es gespürt: Du bist meine Rettung.«
»Warum … hast du nie etwas gesagt?«, stammelte ich.
Für den Bruchteil einer Sekunde schlich sich ein Hauch von Wehmut in Felix’ Miene. »Ich wollte mich doch nicht verlieben. Niemals.«
»Und jetzt ist es trotzdem passiert?«, fragte ich beklommen.
Felix schmunzelte. »Nein, ich bin nicht verliebt. Ich liebe dich, Leni. Schon immer. Das ist ein großer Unterschied.«
»Felix …«
Sein Name hatte sich in ein Flüstern verwandelt. Noch bevor ich ihn ganz ausgesprochen hatte, riss er mich in seine Arme und küsste mich. Und dieses Mal blieb ich nicht wie angewurzelt liegen. Ich schmiegte mich in seine Umarmung und tauchte hinein in diesen Kuss, so tief, dass ich glaubte, unsere Seelen würden sich berühren. Felix presste mich an sich, als ob er mich nie wieder loslassen wollte, fuhr mit den Händen durch meine Haare, küsste meine Wangen, meinen Hals, fand meinen Mund … bis ich schließlich nach Atem ringend den Kopf zurückbog und in seine unglaublich blauen Augen sah.
Eine Weile schwiegen wir, unsere Blicke fest ineinander verflochten, tief und innig, so wunderbar vertraut und gleichzeitig so fremd. Und ich konnte mich nicht sattsehen an ihm.
Plötzlich stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. »Meine Zunge ist übrigens noch da«, sagte ich mit gespielter Empörung. »Du hast mich also angelogen.«
Felix zog erstaunt die rechte Braue hoch. »Was?«
»Felix, Felix, kannst du dich denn nicht mehr erinnern?« Ich lachte auf und wuschelte ihm durch das feuchte Haar. »Als wir uns kennenlernten, hast du behauptet, dass man beim Küssen die Zunge des anderen verschlucken würde. Das war ja wohl eine glatte Lüge!« Ich streckte ihm meine zum Beweis entgegen.
Jetzt lachte auch Felix. Erleichtert, frei, übermütig, glücklich – all das lag in diesem Lachen. »Stimmt. Aber nur, weil ich nicht wollte, dass du einen anderen küsst. Wenn schon Zunge weg, dann bitte schön mit mir.«
Seine Augen blitzten vor Vergnügen. Wieder lachten wir. Wie befreit. Alles anders. Noch mal von vorn. Leni und
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