Die Tochter der Ketzerin
und ging los, um seine Felder zu versorgen. Nach dem Tod seines Vaters bezog Dr. Nathaniel Ames mit seiner Frau und seinen Kindern den Familiensitz in Boston und verbrachte den Rest seines Lebens damit, sich bei der Krone und den Gerichten von Massachusetts für eine Reform der königlichen Gefängnisse in den Kolonien einzusetzen.
Meine Tante und meine Cousine wurden erst im Februar 1693 aus dem Gefängnis entlassen. Ein Geschworenengericht hatte sie zwar für unschuldig befunden, doch Allen musste zunächst das Pferd seines Vaters, Bucephalus, verkaufen, um die Haftgebühr bezahlen zu können. Margaret und die Tante wurden in einem Karren zurück nach Billerica gebracht, doch weil sie die Ipswich Road im Norden nahmen, kamen sie nicht an unserem Haus vorbei. Da sein Vater nun verstorben war, erbte Allen endlich die Farm, auf die er schon so lange ein Auge geworfen hatte, und führte den Familienbesitz mit Sparsamkeit und kaufmännischem Geschick. Obwohl Vater ihn bat, mir und Margaret den Umgang zu erlauben, blieb er hart und verbittert und ließ sich nicht erweichen.
Im Mai wurden die sechsundfünfzig restlichen Gefangenen der Hexenprozesse freigesprochen und entlassen. Inzwischen erwarteten unsere Mitmenschen von uns, dass wir uns nach so vielen Monaten oder Jahren mit ihrem halbherzigen Nicken zufriedengeben und zum Alltag übergehen würden. Doch die in der Gefangenschaft erlittenen Wunden waren zu tief und wollten sich einfach nicht von selbst schließen. In den fünf Jahren, die auf die Hexenprozesse folgten, leisteten ein Richter aus Salem und zwölf Geschworene öffentlich Abbitte dafür, dass sie sich an der Tötung Unschuldiger beteiligt hatten. Im Jahr 1706 stellte sich Ann Putnam jr. als Einzige der Anklägerinnen von Salem vor das Versammlungshaus des Dorfes und entschuldigte sich ausführlich und vor den Augen aller Mitbürger für ihre Tat. Allerdings hielt sie daran fest, sie habe diese nicht aus eigenem Antrieb begangen, sondern aufgrund von Wahnvorstellungen, die der Teufel selbst ihr eingeflößt habe. Im Alter von fünfunddreißig Jahren starb sie, unverheiratet, einsam und verfolgt von Träumen von den Toten aus Salem.
Wir hatten auf der Farm nur wenig Besuch, und selbst die Familie Dane, die Hannah bei sich aufgenommen hatte, ließ sich nur selten sehen. Auch als erwachsene Frau behielt Hannah ihr ängstliches und verschüchtertes Wesen bei. Sie heiratete zwar und bekam Kinder, doch in ihren Augen zeigte sich stets der Ausdruck einer verlorenen Seele. Sie litt an merkwürdigen Anfällen von Melancholie und wurde ihr Leben lang von Albträumen heimgesucht. Da die Danes befürchteten, ein Umgang mit uns könnte sie zu sehr aufwühlen, sah ich sie erst mit knapp zwölf Jahren wieder. Als ich endlich ins Haus Dane vorgelassen wurde, führte man mich in die Wohnküche, wo meine Schwester mit gesenktem Kopf am Spinnrad saß. Aus dem pummeligen Kleinkind mit den Grübchen war ein hageres, steifes und freudloses junges Mädchen geworden. Schlaff schüttelte sie mir die Hand und hob kurz den Blick, aber ich wusste, dass sie mich mehr oder weniger vergessen hatte. Wir sprachen über Dorfklatsch und Haushaltsfragen, doch sie erkundigte sich weder nach Vater noch nach unseren Brüdern, weshalb ich das Thema Vergangenheit auch nicht anschnitt. Als ich mich verabschiedete, nickte sie nur rasch und betätigte dann wieder das Pedal des Spinnrads. Auf dem langen Heimweg weinte ich um sie, verheimlichte Vater allerdings meine Tränen und richtete ihm stattdessen treue und liebe Grüße von ihr aus.
Da wir nie mehr ins Versammlungshaus zurückkehrten, erlebten wir nicht mit, wie Reverend Dane wieder den Platz in der Kanzel einnahm. Offenbar hatte sein Gegenspieler Reverend Barnard gewittert, dass der Zeitgeist sich gewandelt hatte. Weil Hexenspuk inzwischen nicht mehr drakonische Urteile und Strafen nach sich zog, sondern eher mit einem Quäntchen Skepsis betrachtet wurde, hatte er sich rasch auf Reverend Danes Seite geschlagen und kämpfte nun für die Freilassung der Gefangenen.
Robert Russell blieb unser Freund, half bei der Ernte, der Aussaat oder wenn jemand erkrankt war, und kam häufig mit seiner Frau zu Besuch. Auch sein Wunsch nach Söhnen wurde erfüllt, denn die frühere Witwe Frye gebar ihm gleich fünf in erstaunlich schneller Reihenfolge. Keine zwei Jahre nach unserer Freilassung heiratete Richard Roberts blasse schüchterne Nichte Elizabeth Sessions.
Am Ende des Jahres schwappte wieder eine
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