Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
ich saß reglos. In der Ferne grollte der Donner, und die Luft klebte feucht an der Haut.
    Die letzte Spur des Sonnenlichts war verschwunden; die Nacht streckte die Hand über den Wald. Als die Dämmerung der Dunkelheit wich, gab es eine Bewegung im Wasser, und sie kamen ans Ufer, einer nach dem anderen. Der Augenblick der Veränderung war durch die Nacht vor mir verborgen, denn der Mond war noch nicht durch die Wolken gebrochen. Trüb erkannte ich den Umriss eines Flügels, das Biegen eines Halses. Und dann waren sie hier, meine Brüder, meine Lieben, auf dem Sand vor mir, ein wenig betäubt und nass, halb bekleidet mit denselben Kleidungsstücken, die sie zuvor getragen hatten, und dann, als bester Balsam für meinen Geist, kamen der lautlose Gruß, zunächst stotternd und unverständlich, aber es erfüllte mein Herz mit größter Freude.
    Sorcha. Sorcha, wir sind da.
    Ich ging auf sie zu, berührte sie einen nach dem anderen, sah im Licht meiner kleinen Laterne die Verwirrung in ihrem Blick, hörte ihre zögernden Stimmen. Es ging ihnen nicht gut. Wenn ich erwartet hatte, dass sie unverändert, tapfer und lachend zu mir zurückkamen, wie ich sie verlassen hatte, dann hatte ich die Art ihrer Verzauberung falsch eingeschätzt.
    Es ist nicht so schlimm. Conor legte den Arm um mich, während ich seine innere Stimme hörte. Erinnerst du dich an die Geschichte von den vier Kindern des Lir? Sie waren neunhundert Jahre lang in Schwäne verwandelt, und als sie endlich wieder menschliche Gestalten erhielten, waren sie kleine alte Männer und Frauen, gebeugt und verkrüppelt. Wir sind zumindest unversehrt zurückgekehrt, körperlich unversehrt – und ein wenig früher als sie.
    Das tat wenig, um mir zu helfen. Wussten meine Brüder denn nichts von Zauber und Gegenzauber? Nichts von der Dauer des Bannes und der Methode, ihn aufzuheben? Wie sollte ich das erklären, ohne die Macht der Sprache, und mit dem Befehl, über meine Geschichte Schweigen zu bewahren? Und noch etwas stimmte hier nicht.
    Wo ist Finbar? Denn ich war nur imstande, einen meiner Brüder mit dem Geist zu berühren und nur fünf mit der Hand.
    »Er kommt. Lass ihm Zeit«, sagte Conor laut, und es tröstete mich, dass er klang wie früher. Und nun hatten sich auch die anderen gefasst, ächzten leise wie nach zu viel Bier oder nach anstrengenden Übungen im Schwertkampf, während ihr menschliches Bewusstsein langsam zu ihnen zurückkehrte. Sie versammelten sich um mich, umarmten mich und fassten einander bei den Schultern, als wollten sie sich überzeugen, dass dies nicht nur eine weitere Vision oder ein Zaubertrick war. Der Hund näherte sich vorsichtig Cormack. Er begann Linns Ohren zu kraulen und fuhr ihr mit sanften Fingern über die Narbe am Kopf. Dann erkannte sie ihn, sprang an ihm hoch und bellte begeistert. Ich sah, wie er eine Sekunde lang zurückwich, wie beinahe so etwas wie Angst über sein Gesicht zog, und dann war die Angst verschwunden und er streichelte sie strahlend.
    Ich zupfte Conor an der Jacke und zog ihn weg vom Ufer. In meiner anderen Hand hielt ich die kleine Laterne. Meine Brüder folgten mir den Hügel hinauf in die Höhle, aber es dauerte immer noch, bis sie richtig bei Bewusstsein waren, und sie schwiegen die meiste Zeit und folgten mir ohne weitere Frage. Wir erreichten die Höhle, und ich legte neues Holz aufs Feuer und entzündete eine weitere Lampe. Ich nahm an, wir würden hier sicher sein. Heute Nacht würden sich alle zu den Mittsommerfeiern versammeln, und nur die waghalsigsten oder dümmsten Sterblichen würden sich um diese Zeit in den Wald wagen.
    Meine Brüder saßen um das kleine Feuer wie verlorene Geister, die von ihrem Pfad abgewichen waren. Zunächst sprachen sie wenig; sie schienen erschüttert, obwohl sie von Zeit zu Zeit die Hände ausstreckten, um den anderen zu berühren, als wollten sie sich überzeugen, dass sie tatsächlich wieder Menschengestalt hatten. Nach einer Weile bemerkte ich, dass auch Finbar schweigend vom Wasser heraufgekommen war, um sich unserem kleinen Kreis anzuschließen. Als ich meine Hand ausstreckte, um ein weiteres Stück Eschenholz aufs Feuer zu legen, packte er mein Handgelenk; er hatte immer scharfe Augen gehabt.
    »Deine Hände«, sagte er grimmig, »was ist mit deinen Händen los?« Und er fuhr sanft mit seinen langen, schmalen Fingern über die meinen und spürte die Schwielen und die Narben und die Verhärtung der Gelenke. »Sorcha, was ist passiert? Warum sprichst du nicht mit

Weitere Kostenlose Bücher