101 - Der Unheimliche aus dem Sarkophag
„Sie wird sterben, flüsterte man sich im
Palast zu.
Nafri, die schöne Tochter des Pharaos, lag
seit Tagen im Fieber. Die Ärzte konnten ihr nicht helfen, die Gebete der
Priester blieben unerhört.
Nafri war dreiundzwanzig Jahre alt.
Jeder am Nil kannte sie. Sie war zart und
schön wie eine Blume. Man sagte, daß sie einer Göttin glich.
Nafri war schon immer von zarter Gesundheit
gewesen. Nun lag sie im Sterben.
Das Zimmer mit dem kostbaren Bett war abgedunkelt,
schwere Vorhänge wiesen Licht und Sonne zurück. Der Atem des Todes schwebte
durch die Hallen und Gänge des Palastes. Man unterhielt sich nur flüsternd oder
schwieg und warf sich nur vielsagende Blicke zu.
Wie war es zu der Krankheit gekommen?
Niemand wußte eine Erklärung dafür. Das
Fieber hatte plötzlich und stark eingesetzt. Eine gewöhnliche Infektion
schlossen die Ärzte aus.
Hatte Nafri sich den Unmut der Götter
zugezogen?
Dann kam plötzlich das Gerücht auf.
Es verbreitete sich in Windeseile. Jedermann
im Palast hatte es geahnt, doch niemand hatte zunächst gewagt, die Dinge beim
Namen zu nennen.
Man machte Ak-Hom verantwortlich.
Der Hohepriester Kha-Chem, Diener der Göttin
Isis, der nicht von Nafris Krankenlager wich, sagte es zuerst.
„Ak-Hom war schon immer eine Gefahr. Als wir
uns entschlossen, ihn aus der Priesterschaft auszustoßen, hätten wir uns noch
mehr um das kümmern sollen, womit er sich beschäftigte. Ich glaube, es war
leichtsinnig, so zu handeln, wie wir gehandelt haben. Ak-Hom hat schreckliche
Götter verehrt, und wir wissen bis zur Stunde nicht, welche furchtbare Kraft
ihm dadurch zuteil geworden ist.“
Genauso sagte Kha-Chem es dem Pharao.
Der war in dumpfes Grübeln versunken, hörte
aber die Worte des Hohepriesters.
Da stürzte eine Dienerin Nafris in den Saal.
„Ihre Tochter, großer Pharao - ist tot!“
„Ak-Hom ist ihr Mörder“, bemerkte Kha-Chem
dazu, als wüßte er plötzlich genau, wie alles zusammenhing
...
Die Frauen weinten. Sie liefen durch den
Palast, und die Kunde vom Tod der schönen Nafri verbreitete sich wie ein
Lauffeuer in der Stadt.
Die Menschen rieben Gesicht und Kopf mit Erde
ein. Männer und Frauen trauerten und schlugen sich auf die entblößte Brust.
Im Palast wurde die Tote in ein Meer von
Blumen gebettet, und die Ärzte- Priester begannen mit ihrer Arbeit.
Ka, die Seele der Toten, hatte das Cha, den
Körper, verlassen.
Seit Stunden murmelten die Priester
geheimnisvolle Sprüche. Kha-Chem beschwor die Geister des Jenseits, die vom
Körper losgelöste Seele ungehindert auf ihrem Weg ins Reich der Götter ziehen
zu lassen.
Wiederbelebungsversuche waren ebenso
fehlgeschlagen wie die Heilung der Kranken. Und das galt als zusätzliches,
böses Omen, daß Nafri geheimnisvollen, starken Zaubermächten zum Opfer gefallen
war.
Wachen des Pharaos waren indessen unterwegs,
Ak-Hom zu suchen, der in einer Hütte am Oberen Nil, wohin man ihn verbannt
hatte, sein Einsiedlerleben führte.
In der Zwischenzeit lief das Ritual ab. Nach
den Beschwörungen wurde der Leichnam weggetragen.
Ärzte entfernten das Gehirn der Toten. Es
wurde mit goldenen Haken aus der Nase gezogen. Mit scharfen Steinmessern wurde
die Bauchhöhle geöffnet. Die Eingeweide wurden herausgenommen. Gehirn und
Eingeweide wurden in steinerne Krüge gelegt.
Dann begann die Waschung des leeren Körpers.
Es war die Stunde, als die ausgesandten Boten
in die Hütte des Einsiedlers drangen und feststellten, daß der Gesuchte wie vom
Erdboden verschluckt war ...
●
Als die Sonne sank, tauchte ein Fremder vor
den Toren des Palastes auf.
Er ging etwas gebeugt, war bärtig und stammte
nicht aus der Stadt.
„Mir sind viele trauernde Menschen in den
Straßen begegnet. Frauen und Männer stehen weinend herum“, sagte der Alte mit
dem grauen Bart. „Wer immer auch gestorben ist, man muß ihn sehr geliebt haben.
Da so viele weinen, gehe ich wohl richtig in der Annahme, daß es sich um ein
Mitglied der Familie des Pharaos handelt?“
„Ja, Fremder“, sagte einer der Wächter.
„Nafri, die geliebte Tochter des Pharaos, ist gestorben.“
In den Augen des Alten blitzte es
geheimnisvoll. „Wann ist es passiert?“
„Um die Mittagsstunde.“
„Dann ist noch Zeit genug“, kam es plötzlich
aufgeregt über die Lippen des Besuchers. „Führt mich zum Pharao! Ich bin ein
berühmter Arzt, ich kann seiner Tochter - vielleicht noch helfen.“ Die beiden
Wachen blickten sich schnell an.
„Red’ keinen
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