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Die Tochter des Münzmeisters

Die Tochter des Münzmeisters

Titel: Die Tochter des Münzmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Henneberg
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sondern hielt sich im Stall auf, wie ihre Großmutter ihr mitteilte, und auch sonst war niemand bei ihr. Ohne irgendeine Frage zu stellen, breitete die kleine, schmale Frau die Arme aus und hielt ihre weinende Enkelin fest, bis Henrika sich wieder einigermaßen gefasst hatte.
    »Es ist schlimm, dass Betlindis tot ist – zusammen mit ihrem ungeborenen Kind. Noch viel schlimmer ist es aber, dass sie nun schon die zweite Frau ist, die aufgrund einer Schwangerschaft in diesem Haus gestorben ist. Versprich mir, niemals hier ein Kind zu gebären! Ich bin unendlich froh, dich gesund wiederzusehen, mein Kind! Die ganze Zeit über wussten wir nicht, wie es dir geht, nachdem uns die Nachrichten über die Belagerung der Hartesburg erreicht hatten.«
    Henrika schnäuzte sich die Nase in einem Tuch, dasEdgitha ihr reichte, und sah dabei aus dem Fenster. Als sie Randolf erblickte, der aus Richtung des Friedhofes kam und zum Stall ging, verdüsterte sich ihr ohnehin schon verheultes Gesicht noch mehr.
    Edgitha folgte ihrem Blick und strich ihrer Enkelin eine Strähne hinters Ohr. »Lass ihm Zeit. Wenn die Trauer vorüber ist, wird er kommen.«
    Verblüfft starrte Henrika in das schmale Gesicht ihrer Großmutter, ohne jedoch eine Antwort zu finden.
    Edgitha lachte leise auf. »Glaubst du denn, ich hätte die Blicke zwischen euch nicht bemerkt? Allein die Erwähnung seines Namens reichte aus, um ein Leuchten in deinen Augen aufglimmen zu lassen. Betlindis war eine gute Frau, und er wird die Trauerzeit respektieren. Doch eines Tages wird er kommen, seit auch du wieder frei bist. Da dein zukünftiger Gemahl sich gegen den König gestellt hat, wird der nun kaum an der Verbindung festhalten wollen.«
    Die Überraschung Henrikas verschwand, und sie entgegnete emotionslos: »Vielleicht wäre es so gekommen, doch es ist zu viel geschehen, und noch mehr ist zerstört.«
    Verbittert dachte sie an die Nacht, die sie mit Randolf in dem Verschlag verbracht hatte. Während sie beide dort gegen ihre Gefühle angekämpft hatten, lag Betlindis bereits in kalter Erde begraben, und Henrika fühlte sich ungeheuer schuldig.
    »Die Frauen unserer Familie scheinen sich in den Kopf gesetzt zu haben, sich immer möglichst unglücklich zu verlieben«, erwiderte Edgitha resigniert und strich ihrer Enkelin zart über den Arm. Als die junge Frau plötzlich einen freudigen Schrei von sich gab, blickte sie auf und folgte ihrem Blick. Aus dem Stall kam ein Mann, der mit humpelnden Schritten direkt auf Randolf zuging. Imnächsten Moment lagen sich die beiden Männer in den Armen.
    »Seit wann ist Goswin hier?«, rief Henrika, die sich in einem Wechselbad der Gefühle befand.
    Die Erklärung ihrer Großmutter, dass die gesamte Familie kurz nach Henrikas Aufbruch eingetroffen war, hörte sie nur noch halb. Sie stürmte mit großen Schritten die Treppe hinunter, aus dem Haus heraus und rief laut nach ihrem Onkel. Im nächsten Moment lag sie in seinen Armen, während ihr die Freudentränen über die Wangen liefen.
    »Vorsicht, nicht so heftig! Du wirfst mich ja um, liebe Henrika!«, flehte Goswin scherzhaft.
    Randolf betrachtete das Schauspiel mit erstarrtem Blick und entschuldigte sich anschließend bei den beiden. »Ich möchte nach Herwin sehen«, murmelte er und ging mit großen Schritten davon.
    Henrikas Freude trübte sich augenblicklich, als ihr klar wurde, dass ihr Gefühlsausbruch völlig unangemessen war, und sie senkte verschämt den Blick.
    »Freud und Leid liegen leider sehr oft dicht beieinander«, tröstete sie Goswin und hob mit einem leichten Druck seines Zeigefingers ihr Kinn an. Mehr als ein klägliches Lächeln brachte Henrika allerdings nicht zustande, als er ihr zart über die Wange strich. »Komm«, sagte er und reichte ihr seinen Arm, »ich will dir etwas zeigen.«
    Sie verließen den Pfalzbezirk und schlugen zu Henrikas Überraschung die Richtung zu den Resten von Goswins Elternhaus ein. Durch die Verletzung, die ihr Oheim von dem Kampf mit Azzo davongetragen hatte, kamen sie nur langsam voran. Sein linker Arm hing schlaff am Körper herunter, denn seitdem das Messer oberhalb des Schulterblattes in seinem Fleisch gesteckt hatte, konnte Goswin ihn nicht mehr bewegen.
    »Das hier ist ein treffendes Beispiel dafür«, bemerkte er mit belegter Stimme, als sie vor der traurigen Ruine stehen blieben. »Hier haben wir viele glückliche Stunden erlebt, aber auch den größten Schmerz und das schlimmste Leid, das man sich denken kann.« Plötzlich

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