Die Toechter der Familie Faraday
plötzliche Theaterleidenschaft entdeckt, als sie Clementine Hand in Hand mit David Simpson, der die Hauptrolle spielte, gesehen hatte.
»Alles bestens. Wieso?«
Juliet zuckte mit den Schultern. »Du kommst mir in den letzten Wochen ein wenig geistesabwesend vor.«
»Wirklich alles bestens. Ich hab nur viel zu tun. Aber da …«
»Gibt’s noch Eier, Juliet?«, unterbrach Sadie. Sie nahm immer Nachschlag. Miranda nannte sie deshalb den Menschlichen Mülleimer und, wenn Sadie es nicht hörte, Miss Piggy.
»Sind in der Pfanne. Bedien dich.«
»Kannst du mir nicht auftun? Och bitte.«
»Hast du Gummi in den Armen?«, fragte Juliet.
Sadie ließ demonstrativ die Arme baumeln.
»Lass dich doch nicht zum Narren halten, Juliet«, murmelte Miranda und blätterte um.
Juliet nahm trotzdem Sadies Teller.
»Wo ist Dad?«, fragte Clementine.
»In Denkland«, sagten Juliet, Miranda, Sadie und Eliza im Chor.
»Nein, ist er nicht. Guten Morgen, meine Herzallerliebsten.« Leo Faraday kam durch die Seitentür und mit ihm ein Schwall kühler Morgenluft. Er trug einen grauen Anzug mit breitem Revers, ein blütenweißes Hemd und eine blau gemusterte Krawatte. Das Haar war streng zurückgekämmt, seine dunkelrote Tolle lag glatt am Kopf an. »Und, ja, bevor ihr euch verpflichtet fühlt, es zu erwähnen, ich sehe heute ausgesprochen gut aus und, ja, ich habe einen Termin. Juliet, das Frühstück duftet köstlich. Miranda, was ist das schwarze Zeug da um deine Augen, du siehst ja wie eine Bordsteinschwalbe aus. Eliza, warst du schon laufen? Sadie, räumst du bitte deine Stiefel da weg? Und was ist mit dir, Clementine? Du siehst wie ein Häufchen Elend aus.«
»Sie hat einen Magenvirus«, sagte Juliet.
»Armes Mädchen«, sagte er, grinste dabei aber von einem Ohr zum anderen.
Juliet reichte ihm die blaue Tasse. »Alles in Ordnung, Dad? Was geht denn da draußen vor?«
»Viel Gutes, Juliet. Viel Interessantes. Und viel Ungewöhnliches.«
»In deinem Kopf oder in der Wirklichkeit?«, fragte Miranda.
»Wir bekommen dich kaum noch zu Gesicht, Dad«, beklagte sich Sadie.
Leo stellte die Tasse ab und rieb sich die Hände. »Da brodelt etwas Heißes, meine Mädchen. Es steht kurz vor dem Siedepunkt. Diesmal glaube ich wirklich …«
»Große Güte, ist es wieder so weit?«, fragte Miranda übertrieben theatralisch. Zu viele Jahre schon hörten sie immer wieder große Reden über seine angeblich ach-so-tollen Erfindungen. Das revolutionäre Motoröl, das ihr altes und einziges Auto drei Monate lang lahmgelegt hatte. Das Gerät, das Spinnen vertreiben sollte und genau das Gegenteil bewirkt hatte. Der automatische Niederschlagsmesser, der bei seinem ersten Einsatz in Flammen aufgegangen war. »Ich mach mich besser fertig, sonst komm ich noch zu spät«, sagte Miranda.
Clementine stand auf, presste sich den Waschlappen auf den Mund und lief wieder ins Bad. Die Tür schlug laut zu.
»Gott, ist das eine empfindliche Seele«, meinte Miranda und rief ihr nach: »Ist ja gut, Clemmie, ich komm doch nach der Arbeit zurück.«
Clementine kam, kalkweiß, zwei Minuten später wieder in die Küche. »Entschuldigt.«
»War dir wieder schlecht?« Als Clementine nickte, fühlte Juliet noch einmal die Stirn ihrer Schwester. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Leo legte ihr auch die Hand auf die Stirn. »Heiß ist sie nicht, aber ein wenig klamm.«
»Clemmie ist klamm«, sagte Sadie.
Miranda lachte, woraufhin Sadie sehr zufrieden dreinschaute.
»Hast du etwas Ungewöhnliches gegessen?«, fragte Leo. »Du hast doch hoffentlich keine Lebensmittelvergiftung?«
»Nein, sicher nicht.«
»Zu viele schlaflose Nächte, das hat sie«, sagte Sadie. »Je eher diese Romanze – oh, entschuldige, Clementine -, je eher dieses Stück vorbei ist, umso besser.«
»Was ziehe ich denn bloß zur Premiere an?«, fragte Miranda. »Mein blaues Abendkleid oder diesen hinreißenden Hauch aus Spitze, den mir mein Couturier letzte Woche erst aus Paris geschickt hat? Und du, Sadie? Den Pullover aus Yak-Wolle oder vielleicht dieses ganz und gar entzückende, in Patschuli getränkte Flickenteil, in dem wir dich letzte Woche umherstolzieren sahen? Wie viele kleine Nagetierchen haben wohl dafür ihr Leben gelassen?«
Leo war besorgt. »Clementine, vielleicht solltest du heute lieber nicht zur Schule gehen. Du siehst wirklich krank aus.«
»Sie sollte lieber zum Arzt gehen. Das ist schon das dritte Mal diese Woche, dass ihr morgens übel ist«, sagte
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