Die Tore des Himmels
zu den engsten Vertrauten der Königin Gertrud. Wir bestürmten sie sofort mit Fragen, aber sie sagte kaum etwas, obwohl Deutsch ihre Muttersprache war und sie uns ganz gut verstand.
Am nächsten Morgen wurden wir unsanft aus dem Schlaf gerissen. Alles war in größter Unruhe, offensichtlich wurde gepackt. Natürlich sagte uns niemand etwas, aber ich erfuhr von einem der Stalljungen, dass König Otto der Welfe mit seinen Truppen ins Land eingefallen war und nun auf Eisenach zumarschierte. Der Landgraf zählte inzwischen zu den Anhängern des Stauferkönigs Friedrich, der, wie wir gehört hatten, zwar weit weg auf Sizilien wohnte, aber auch hierzulande Anspruch auf die Herrschaft erhob. König Otto wollte aber nicht klein beigeben, er kämpfte um die Macht und suchte bei Friedrichs Anhängern Rache, zuallererst bei Landgraf Hermann. Die Hofhaltung musste deshalb so schnell wie möglich auf die Wartburg fliehen, den wohl sichersten Ort in ganz Thüringen. In strömendem Regen zogen wir hinauf zur Burg. Elisabeth saß auf ihrem Platz, mit großen, angstvollen Augen und stumm wie ein Fisch. Seit sie angekommen war, hatte sie noch kein Wort gesprochen.
Zusammen mit der Braut hatte der Krieg Einzug im Land gehalten.
Salza, Spätsommer 1212
D as Dorf brannte. Es war leichte Beute gewesen, die Bauern hatten den armseligen Palisadenzaun keine Stunde verteidigen können. Wie auch, mit nichts als Saufedern, Handsicheln und Dreschflegeln? Nun loderten in Scheunen und Hütten die Feuer, wer Glück hatte, war rechtzeitig in die Wälder geflohen. Viel war nicht zu holen in einem Flecken wie diesem; das Wenige, was die Menschen besaßen, war keinen Pfifferling wert. Die Soldaten waren unzufrieden, denn das Plündergut diente ihnen als Bezahlung. Wer nichts von Wert fand, hatte umsonst gekämpft. Wenigstens war der einzige Bierkeller gut gefüllt, und so wurde immerhin gesoffen, was die Fässer hergaben. Die paar mageren Kühe wurden geschlachtet und gebraten. Und wie es im Krieg immer schon war, hielten sich die Sieger an den Frauen schadlos.
Mechtel drückte sich am Flechtwerkzaun des Schweinekobels entlang. Einen Tag und eine Nacht lang hatte sie sich in der Mehlkammer der Getreidemühle versteckt, starr vor Angst. Sie hatte durch ein Loch in der Wand mitangesehen, wie die fremden Soldaten erst die Familie des Müllers und dann die Knechte und Mägde umbrachten. Als die Männer am nächsten Morgen endlich gegangen waren, rappelte sich das Mädchen auf und verließ die sichere Kammer. Sie wusste selber nicht, warum oder wohin, das war mit ihr schon immer so gewesen. »Mechtel«, pflegte die alte Müllerin, die nun tot in der Stube lag, zu ihr zu sagen, »du hast zwar nichts als Stroh im Kopf, aber du bist ein braves Ding, und hinlangen kannst du auch.« An ihre Eltern hatte Mechtel kaum eine Erinnerung; der Müller, eine barmherzige Seele, hatte sie als Schweinemagd aufgenommen, noch bevor sie sieben Jahre alt war.
Verstört irrte Mechtel zwischen den brennenden Häusern umher. Als sie einen Brotlaib auf dem Boden entdeckte, hob sie ihn auf und presste ihn an sich. Aus der Richtung, in der die Burg lag, erklangen leise Trommeln. In der Ferne wuchs eine Rauchsäule in den Himmel. Dorthin konnte sie nicht gehen, da waren die Feinde. Also schlug sie blindlings einen anderen Weg ein.
Als sie die Soldaten sah, war es schon zu spät. Es waren vier, die da im Schatten einer großen Buche lagerten, ganz junge Kerle. Sie hatten sich noch vor der Kapitulation der Burg Salza aus dem Staub gemacht und wollten nach Hause, die Lust auf weitere Kämpfe war ihnen abhandengekommen. Jetzt stand einer von ihnen auf. »Wohin des Wegs, meine Schöne?«, grinste er. Mechtel verstand seinen Dialekt nicht, er kam ja auch von weither aus dem Norden. Als er die Hand ausstreckte, ließ sie ihren Brotlaib fallen, drehte sich um und rannte. Nach ein paar Schritten hatte er sie eingeholt und zu Boden gerissen, und dann waren auch die anderen da. Sie wehrte sich stumm, wie ein Tier, biss, trat und kratzte. Aber die Soldaten hielten sie fest. Ihr Hemd zerriss über der Brust, Hände schoben ihre Röcke hoch. Sie taten etwas mit ihr, von dem sie wusste, dass es unrecht war. Der Schmerz ließ sie laut aufschreien. Lass sie doch aufhören, lieber Gott, hilf, dachte sie. Aber der liebe Gott half nicht. Sie hörten nicht auf. Mechtel sah zum Himmel hinauf. Da flatterte ein Vogel, der wollte sie so gern sein. Eine Wolke zog langsam vorbei, die erinnerte an ein
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