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Die Tote im Götakanal

Die Tote im Götakanal

Titel: Die Tote im Götakanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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Geschichte hat mich den ganzen Tag gekostet.
    Er lehnte sich im Stuhl zurück und stocherte mit einem Streichholz in seinen Zähnen herum. »Was machen wir jetzt?«
    »Ahlberg hat ein paar von seinen Leuten mit Bildern von der Toten losgeschickt. Du mußt ihnen wohl bei dieser Beinarbeit helfen. Wenn Melander erscheint, wollen wir mit dem Stadsfiskal und mit Larsson die Berichte durchgehen. Geh am besten zu Ahlberg. Er wird dir sagen, was du tun sollst.«
    Kollberg trank seinen Becher aus und stand auf.
    »Kommst du mit?« fragte er.
    »Nein, jetzt nicht. Sag Ahlberg, ich bin im Hotel, wenn er was will.«
    In seinem Zimmer legte Martin Beck Jacke, Schuhe und Schlips ab und setzte sich auf die Bettkante.
    Das Wetter hatte sich aufgeklärt. Weiße Wölkchen hingen am Himmel, und sogar die Sonne war zum Vorschein gekommen.
    Martin Beck stand auf, öffnete das Fenster einen Spalt und zog die dünnen Tüllgardinen vor. Dann legte er sich aufs Bett, die Hände unter dem Kopf verschränkt.
    Er dachte an das Mädchen, das sie aus dem Schlamm des Borensees herausgeholt hatten…
    Wenn er die Augen schloß, hatte er ihr Bild vor sich, das er Dutzende von Malen im Laufe des Tages betrachtet hatte. Nackt und verlassen, mit schmalen Schultern und schwarzem Haar, von dem sich eine Strähne über den Hals ringelte.
    Wer war sie, was hat sie gedacht, wie hat sie gelebt? Mit wem war sie zusammen gewesen?
    Sie war jung. Martin Beck war überzeugt, daß sie schön gewesen war. Sicher hatte sie jemanden gehabt, der sie liebte. Jemanden, der ihr nahestand und der noch nichts von ihrem Schicksal wußte. Sie mußte Freunde gehabt haben, Kollegen, Eltern, vielleicht Geschwister. Kein Mensch, vor allem nicht eine junge, schöne Frau, ist so einsam, daß nicht jemand ihn vermißt, wenn er verschwindet.
    Martin Beck dachte lange darüber nach. Warum fragte niemand nach ihr? Es war traurig, wenn ein Mädchen von niemand vermißt wurde; er konnte es einfach nicht verstehen. Hatte sie gesagt, sie wolle verreisen? Dann konnte es lange dauern, bis jemand anfing, sich Sorgen zu machen. Die Frage war nur: wie lange?

5
    Die Uhr war halb zwölf; dies war nun Martin Becks dritter Tag in Motala. Er war zeitig aufgestanden – völlig unnötig, wie er selber feststellen konnte. Er hatte eine Weile an seinem kleinen Schreibtisch gesessen und in seinem Notizbuch geblättert. Ein paarmal hatte er mit dem Gedanken gespielt, zu Hause anzurufen, es aber dann doch unterlassen.
    Wie schon so oft.
    Er setzte den Hut auf, schloß sein Zimmer ab und ging die Treppe hinunter. In der Halle lungerten einige Journalisten herum, auf dem Fußboden lagen zwei Kamerataschen mit zusammengeschobenem Stativ. Neben dem Eingang stand ein Pressefotograf gegen die Wand gelehnt und rauchte. Ein junger Mann, mit einer Zigarette im Mundwinkel, schaute prüfend in den Sucher seiner Leica.
    Als Martin Beck an der Gruppe vorbeiging, zog er den Hut tief in die Stirn, schob ein wenig die Schultern vor und beschleunigte seinen Schritt: Das geschah ganz instinktiv, doch offenbar wirkte es aufreizend, denn einer der Reporter redete ihn überraschend unfreundlich an: »Sagen Sie mal, lädt die Leitung der Fahndungsgruppe heute zum Abendessen ein?«
    Martin Beck murmelte etwas, ohne selbst zu wissen was, und ging auf den Ausgang zu. Gerade als er die Tür aufstoßen wollte, hörte er ein leises Klicken, der Fotograf hatte also eine Aufnahme gemacht.
    Er ging schnell den Bürgersteig lang, aber nur so weit, bis er aus dem Blickfeld der Reporter gekommen zu sein glaubte. Da blieb er unschlüssig etwa zehn Sekunden stehen, warf die halb aufgerauchte Zigarette in den Rinnstein, zuckte mit den Schultern und ging hinüber zum Taxistand. Auf dem Rücksitz machte er es sich bequem, rieb sich mit dem rechten Zeigefinger die Nasenspitze und schielte zum Hotel hinüber. Unter dem Rand des Hutes hervor sah er den Mann, der ihn in der Hotelhalle angesprochen hatte. Der Reporter stand mitten vor dem Eingang und starrte dem Wagen nach. Aber nur einen Moment lang, dann zuckte er ebenfalls mit den Schultern und ging zurück in das Hotelgebäude.
    Die Leute von der Presse und von der Reichsmordkommission wohnten oft im gleichen Hotel.
    Nach schnellem und positivem Abschluß der Untersuchungen pflegten sie den letzten Abend gemeinsam zu verbringen, sie aßen zusammen, und es wurde auch eine ganze Menge getrunken. Mit der Zeit war dies geradezu Brauch geworden und gipfelte in einem regelrechten Abschiedsessen.

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