Die Tote im Keller - Roman
Persönlichkeit der Mädchen so unterschiedlich war, verliefen ihre Entwicklungsphasen parallel. Es war also vollkommen logisch, dass sie gleichzeitig von zu Hause auszogen. Das machte den Verlust doppelt so groß. Andererseits brauchte Irene das Gefühl des Verlassenwordenseins dann nur einmal zu überwinden. Aber vielleicht wurde sie es ja nie ganz los?
»Mama! Ich nehme auch mein Bett mit!«, rief Jenny aus dem Obergeschoss.
Irene hatte sich noch nicht einmal ihre Jacke ausgezogen. Sie rief die Treppe hinauf:
»Okay!«
»Gut! Dann nehme ich auch noch die Vorhänge mit. Die sind passend zur Tagesdecke gekauft«, antwortete ihre Tochter zufrieden.
War das so? Irene konnte sich nicht erinnern, aber vielleicht stimmte das ja. Die gestreifte Tagesdecke in Regenbogenfarben stammte jedenfalls von IKEA, das wusste sie sicher, da sie selbst beim Einkauf dabeigewesen war. Aber woher die Vorhänge waren …
»Ich kriege das Schlafzimmer, und da steht schon ein schönes Doppelbett, ich lasse also mein Bett hier stehen«, sagte Katarina, als sie in die Diele kam.
In den Armen hielt sie einen Stapel weißer Frotteehandtücher. Die stammten auch von IKEA. Sie waren neu und noch vollkommen unbenutzt.
»Das sind meine«, sagte Irene.
»Unsere. Jenny und ich brauchen je eins.«
»Je eins. Du hast da vier Stück. Wenn nicht mehr«, meinte Irene säuerlich.
»Man muss schließlich auch mal wechseln. Unsere Mutter hat uns Reinlichkeit gelehrt.« Ihre Tochter lächelte fröhlich.
»Aber hallo! Ich habe gesagt, ihr könntet ein paar Badelaken aus dem Wäscheschrank nehmen, aber nicht die neuen!«, rief Krister aus der Küche.
Katarina seufzte und verdrehte die Augen.
»Je eins können wir doch wohl kriegen.«
Irene wurde weich.
»Okay. Je eins von den neuen. Und zwei von den alten. Nimm die roten. Alles andere müsst ihr euch eben zum Geburtstag wünschen.«
»Superlieb!«, sagte Katarina.
»Wie geht’s Großmutter?«, ließ sich Jenny aus dem Obergeschoss vernehmen.
»Das erfährst du, wenn du zum Essen runterkommst! Das Essen ist fertig!«, rief Krister, ehe Irene noch etwas sagen konnte.
Sie ging in die Küche und lächelte ihn an. Es duftete nach gekochtem Fisch. Oder pochiertem, wie ihr Mann gesagt hätte. Eine Duftsinfonie aus Dill, Zitrone und Krabben stieg aus dem großen Topf auf dem Herd auf. Daneben köchelten die Kartoffeln.
Plötzlich merkte Irene, wie hungrig sie war. Und wie dankbar für ihre laute und herzliche Familie.
Es würde nicht nur leer werden, wenn die Zwillinge ausgezogen waren. Es würde auch sehr still werden.
Es waren immer noch ein paar Grad über Null, und der Wind hielt an. Der Schneematsch war größtenteils verschwunden, als Irene Donnerstagmorgen ins Zentrum fuhr. Das Wetter würde bis Samstag stabil bleiben. Danach sollte es wieder kälter werden. Hoffentlich verschwand dann das ganze Wasser von den Straßen und das Glatteis. Die Kosten für all die Arm- und Beinbrüche hatten laut der Schlagzeile der Göteborgs-Posten an diesem Morgen bereits alle Rekorde gebrochen. Und immer noch waren die lauen Lüfte des Frühlings in weiter Ferne. Gerd war nun auch Teil dieser traurigen Statistik. Es ist wirklich nicht leicht, alt zu werden, dachte Irene mit einem Seufzer.
E s ist nicht leicht, alt zu werden«, seufzte der Kommissar.
»Ich verspreche, ich erledige das«, sagte die Verkäuferin in der Konditorei Lindén.
Andersson kaufte dort ein, seit er vor fast dreißig Jahren nach Partille gezogen war. Die Frau auf der anderen Seite der Ladentheke arbeitete dort schon fast genauso lange. Im Laufe der Jahre hatten sie sich recht gut kennengelernt, jedenfalls so gut, wie sich ein Stammkunde und eine nette Verkäuferin eben kennenlernen. Ihr vertraute er das Geheimnis an, das er jetzt schon seit ein paar Wochen allein mit sich herumschleppte. Es war ihm zwar aufgefallen, dass die anderen in der Kaffeepause fragende Blicke wechselten, aber niemand hatte ihn bisher darauf angesprochen. Schließlich ging es sie ja auch nichts an.
»Meine Mutter hatte auch Altersdiabetes«, bekannte er in einem Anfall absoluter Aufrichtigkeit.
»Diabetes ist heutzutage so häufig. Nicht nur bei älteren Leuten, sondern auch bei jungen. Aber ich stelle Ihnen ganz einfach eine Auswahl mit verschiedenen guten Sachen zusammen, und dann zeige ich Ihnen, welches die zuckerfreien sind. Dann können Sie davon nehmen. Das hat bisher immer funktioniert.« Sie lächelte und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Er
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