Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
und alle kommen nur noch zu dir.«
Magda hob ihr Glas. »Darauf trinken wir.«
Dann erinnerte sich Clara an das Gespräch mit Leo. »Sag mal, du kanntest doch Dr. Henriette Strauss.«
Magda schaute sie überrascht an. »Natürlich. Jede Ärztin in Berlin kennt sie.« Dann stutzte sie. »Warum sprichst du in der Vergangenheit von ihr?«
Clara erzählte ihr von Henriettes Tod, ohne ins Detail zu gehen. »Näheres darf ich dir nicht sagen, wegen der laufenden Ermittlungen. Leo wüsste gern mehr über sie, ihr Privatleben, ihre berufliche Tätigkeit, ob sie angesehen, beliebt oder verhasst war. Alles, was dazu beitragen kann, ihren Tod aufzuklären.«
Magda saß schweigend da und starrte auf ihre Hände, die flach auf der Tischplatte lagen. »Das ist ein furchtbarer Schock, Clara. Ich kann es noch gar nicht glauben. Begegnet bin ich ihr nur selten, aber es wurde viel über sie gesprochen. Nicht nur Gutes. Sie scheute nämlich nie davor zurück, sich männlichen Kollegen entgegenzustellen, und hat vielen Frauen zu ihrem Recht verholfen. Sie kämpfte gegen Paragraph 218, allein damit brachte sie viele gegen sich auf. Das ist ein enormer Verlust.« Sie wischte sich über die Augen.
Clara hatte nicht erwartet, dass ihre Freundin so erschüttert sein würde. Sie legte ihr tröstend die Hand auf den Arm. »Wie ich hörte, führte sie so etwas wie einen Salon. Weißt du etwas darüber?«
»Ich habe davon gehört, war aber nie dabei. Der Ausdruck Salon ist vielleicht etwas zu hochgestochen – es war eher ein Kreis berufstätiger Frauen. Eine von ihnen kenne ich sogar, Alice Vollnhals. Sie ist auch Ärztin und arbeitet für die Schwangerenfürsorge der Berliner Krankenkassen.«
»Hör zu, Magda, ich möchte, dass du Leo alles erzählst, was du weißt.«
»Reicht es nicht, wenn ich es dir sage?«
Clara schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn deine Aussage wichtig ist, muss sie offiziell aufgenommen und von dir unterschrieben werden.«
»Na schön.« Magda schien noch etwas sagen zu wollen, zögerte aber.
Clara durchschaute die Freundin. »Du kannst die Praxis tagsüber nicht schließen. Das wird er verstehen.« Sicher könnte Leo vor oder nach dem Dienst bei Magda vorbeigehen und sie befragen.
Sie blickten hoch, als Bertha die Teller schwungvoll vor sie hinstellte. »So, und jetzt mal ’n freundlichet Jesicht, die Damen.«
6
SONNABEND, 27. OKTOBER 1923
Am nächsten Morgen versammelte Leo Robert Walther, Jakob Sonnenschein und Otto Berns in seinem Büro und berichtete vom Besuch in der Wohnung der Toten. »Herr Sonnenschein, wenn Sie bitte die Befragung der Portiersfrau kurz zusammenfassen möchten.«
Dieser zückte sein Notizbuch. »Sie kennt Frau Dr. Strauss seit sieben Jahren, so lange hat die Ärztin im Haus gewohnt. Frau Stranzke besaß einen Schlüssel und hat bei Frau Dr. Strauss geputzt, und zwar immer, wenn diese nicht zu Hause war. Henriette Strauss war freundlich, aber distanziert. Es kamen öfter Damen zu Besuch, deren Namen Frau Stranzke nicht kennt. Möglicherweise handelte es sich um berufstätige Freundinnen, mit denen sich die Ärztin regelmäßig traf. Diesen Hinweis verdanken wir einer Bekannten von Herrn Wechsler. Außerdem bekam Henriette Strauss ab und zu Besuch von ihrer Schwester Frau Rosa Lehnhardt, in den letzten Jahren jedoch seltener. Ein häufiger Gast war ihr Neffe, Herr Adrian Lehnhardt. Von der Erkrankung der Ärztin hat Frau Stranzke keine Kenntnis gehabt. Fremde hat sie in den Tagen vor dem Todesfall nicht im Haus bemerkt. Das wäre alles.«
Leo nickte. »Wir haben mehrere Ansatzpunkte. Der Kollege Sonnenschein und ich werden heute zunächst mit der Familie der Toten sprechen. Danach treffen wir uns mit einer Ärztin, die sie persönlich kannte, in deren Praxis. Vielleicht kann sie uns Erkenntnisse über mögliche berufliche Konflikteliefern. Robert, du fährst mit Berns ins Luisenkrankenhaus und sprichst mit ihren Kollegen, Vorgesetzten, den Krankenschwestern und so weiter.«
Die Männer nickten und griffen nach Mänteln und Hüten. An der Tür drehte sich Walther noch einmal um. »Leo?«
»Ja?«
»Meinst du, ich könnte nächsten Monat ein paar Tage frei nehmen?«
Walther sah ihn mit hochzogenen Augenbrauen an. »Wir stecken mitten in einem neuen Fall, da kannst du nicht einfach Urlaub nehmen, das weißt du. Es sei denn, wir haben die Sache bis dahin aufgeklärt. Was ist denn so wichtig?«
Walther druckste etwas herum. »Du weißt ja, ich verbringe viel Zeit
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