Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
bei sich. Sie aßen Brot und Käse und tranken aus einer gemeinsamen Wasserflasche, die Eckbert noch in Bingen mit Wasser und saurem Wein gefüllt hatte. Mittlerweile war die Sonne unte rgegangen. Georg blickte sich um. Der Fremde, für ihn der Teufel in Person, war nicht zu sehen. “Wahrscheinlich sitzt er bei der Besatzung und trinkt“, dachte Georg. Eckbert riss ihn mit einem Rülpser aus seinen Gedanken. Georg wandte sich Eckbert zu, als dem Älteren oblag es ihm, das Abendgebet zu sprechen. Eckbert senkte den Kopf und lauschte den lateinischen Versen, die Georg leise aufsagte. An einigen Stellen antwortete er, auch wenn er nicht wusste, was genau er da sagte. Im Gegensatz zu Georg hatte er nie richtig Latein gelernt. Georg hob die Hand zum Segen, und Eckbert bekreuzigte sich. Danach holten beide ihre Reiseumhänge aus den Ledersäcken und wickelten sich in den Wollstoff. Auf dem Fluss wurde es nachts schnell kalt, feucht und kalt.
Dunkel war es geworden, weder Mond noch Sterne drangen durch die dichten Wolken. Umso heller strahlte das Feuer vom Ufer her, so hell, dass alles Übrige in noch tiefere Schatten getaucht war. Laute Stimmen und gegrölte Liederfetzen wehten vom Ufer herüber, in den Trinkflaschen der Schiffer war wohl mehr als nur Wasser.
Morgen, morgen werde ich wieder in einer Klosterzelle schlafen. Mit diesem Gedanken schlief Georg ein, begleitet von dem leisen Schnarchen Eckberts.
Er war ein Schatten, ein Nichts, ein Hauch, leise und unbemerkt. Er hatte nachgedacht, einfach und schnell würde er es halten, was er natürlich bedauerte, denn so entsagte er manchem V ergnügen.
Der Jüngere von beiden hatte ungefähr seine Gestalt und Größe, seine Wollkutte wollte er noch behalten. Wie sich alles fügte! Sie würde ihm mehr als nur nützlich sein. Der Ältere, der mit dem Hinken, hatte dagegen nichts an sich, das er noch verwenden konnte, auch gut.
Er trat leise zu den beiden Schlafenden. Zuerst der Jüngere. Er griff zu, umfasste den Kopf mit beiden Händen, genoss kurz das Gefühl der Allmacht, das ihn durchströmte, und dann brach er mit einem kräftigen, kurzen Ruck dem Schlafenden das Genick. Es knackte laut, so als würde man auf einen morschen Ast treten. Den Toten würde er gleich zusammen mit dem anderen in den Fluss gleiten lassen. Die Strömung würde die Körper davontragen. Vielleicht kämen sie in ein, zwei Tagen an einem Ufer an, vielleicht – Gedanken darüber machte er sich nicht.
Er beugte sich über den Älteren. Mit einer gleitenden Bewegung zog er seinen Dolch unter dem Mantel hervor. Vorsichtig, beinah zärtlich strich er mit zwei Fingern über die Wangen des Schlafenden. Der schlug die Augen auf. Verwirrung lag in diesen Augen, dann Erkennen. Er liebte diesen Moment, atmete noch einmal tief durch. Und dann, als sich Angst im Blick des anderen spiegelte, stach er zu …
1
Abtei am See
September im Jahre
des Herrn 1476
An seine Königliche Hoheit den
Herzog Richard von Hohenstade und Greich
Eure Hoheit,
es ehrt mich, dass Ihr meinen Rat sucht. Mit Freude denke ich an die vielen Jahre in Eurem Dienst. Jetzt, wo mein Lebensweg dem Ziel entgegenstrebt, weiß ich, dass diese Jahre nicht umsonst waren. Heute, hier im Kreise meiner Mitbrüder, ist es ein ruhiges Leben. Ein Leben nach den Regeln des heiligen Benedikt. Doch dank der Jahre bei Euch kann ich nun auch dieses Leben willkommen heißen. Seien wir ehrlich zueinander – nur wer sich nicht immer fragen muss, was hätte sein können, kann das schätzen, was ist.
Verzeiht einem alten Mann seine Gefühle – glaubt nicht, nur weil Klostermauern zwischen uns und der W elt liegen, würden uns die Nachrichten dieser Welt nicht erreichen. In Eurem letzten Brief hattet Ihr gefragt, ob bestimmte Gerüchte der W ahrheit entsprächen. Nun, so will ich die von Euch gestellten Fragen nach bestem W issen und Gewissen beantworten.
Durch unsere Brüder im Stadthof der Abtei in Andernach und durch unsere Glaubensbrüder, die Minores Fratres, die in Andernach ihre Heimat gefunden haben, erfuhren wir, was sich ereignet hat und was uns erwarten wird. Sicher erinnert sich Euer Gnaden an den glücklosen Versuch des Burgunder Herzogs Karl, die Stadt Neuss einzunehmen. Zwar trägt er nicht umsonst den Beinamen “Der Kühne“, doch schließlich musste er nach vielen Monaten der Belagerung abziehen. Seine Majestät, unser Kaiser Friedrich, dagegen sammelte vor nicht einmal 18 Monaten an die 40.000 Männer im Rheintal, um den Neussern
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