Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
zur Hilfe zu eilen. Dabei war er beinah drei Monate Gast der Ratsherren zu Andernach. Was, wie ich Euch versichere, der Stadtkasse nicht zum Besten gereicht hat. Doch ich schweife schon wieder ab. Wer hätte nun aber gedacht, dass aus den einstigen Feinden in so kurzer Zeit Verbündete werden könnten. Eine Hochzeit zwischen Friedrichs Sohn Maximilian, dem künftigen deutschen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, und Karls Tochter Maria – welch eine Chance für die Habsburger. Und Karl? Er hätte dann einen starken Verbündeten gegen Ludwig XI. an seiner Seite.
Doch Ihr wisst ja, dass schon einmal die Bemühungen um eine Verheiratung fehlschlugen. Was ich Euch nun anvertraue, gebe ich preis aus Respekt vor Euch und in dem Wissen, dass Ihr diese Nachrichten nicht selbstsüchtig ausnutzen werdet.
Die Verhandlung über die Ehe, so sie denn zustande kommen sollte, will Friedrich wiederum in Andernach führen lassen. Wer hätte gedacht, dass ihm diese kleine Stadt am Rhein so ans Herz gewachsen ist. Vielleicht schätzt er aber auch nur die Ferne der großen Städte …
Schon bald soll eine Delegation der Habsburger mit Vertretern aus Burgund zusammentreffen. Ein Treffen, bei dem die Zukunft der Häuser Burgund und Habsburg, ja des ganzen Reiches in der Waagschale liegt. Gebe Gott der Allmächtige meinen Glaubensbrüdern die Gelassenheit, diesem wichtigen Zusammentreffen unter ihrem Dach einen würdigen Rahmen zu geben.
So – nun wisst Ihr um die Wichtigkeit der kommenden Wochen.
Lasst mich aber nicht schließen, ohne mich nach Eurer Gesund heit und der Eurer Gattin zu erkundigen. Ich hoffe, Ihr seid wei terhin wohlauf. Jetzt sind schon mehr als zwei Jahre vergangen, dass Euer jüngster Sohn, mein früherer Schüler, von uns gegangen ist. Eure damalige Nachricht hat mir das Herz gebrochen. Ich bete dafür, dass der Herr Euch in Eurem Schmerz T rost spendet. Möge der Allmächtige seine schützende Hand über Euch und die Euren halten und Eure Wege allzeit begleiten.
Euer Anselm
2
In Nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.
Der Schlusssegen des Priesters wurde durch die hohe Decke der Kirche als vielfaches Echo wiede rgegeben. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht? Warum saß ich hier – in der dunkelsten Ecke, fast als hätte ich etwas zu verbergen?
Ich kannte die Antwort. Ich wollte einen Schlussstrich ziehen. Den Toten ihren Frieden geben – endlich. Doch das war nicht so leicht. In Nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Die gleichen Worte, ein anderer Priester. Ich sah sie wieder vor mir. Meine Maria, meine geliebte Maria, die unsere kleine Sophie über das Taufbecken hielt, Sophie, wie sie ihr Gesicht verzog, als das kalte Wasser über ihre Stirn floss. Marias braune Augen, die meinen Blick suchten. Ihr Lächeln …
Ich wischte mir über die Augen, ich hatte gar nicht gemerkt, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Wenn ich die beiden so lebhaft vor mir sah, wie sollte ich da einen Schlussstrich ziehen können?
Ich atmete einmal tief durch. Kein Vergessen, aber vielleicht etwas mehr Frieden. Ich stand auf, sah Pastor Heinrich auf mich zukommen. Würdevoll läuft man anders. Heinrich rannte fast in meine Richtung. Mir war klar, warum. Ich war ihm sechs Monate lang aus dem Weg gegangen, sechs Monate, seit wir an dem Grab von Maria und Sophie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten.
„Endlich, da seid Ihr ja!“ Pastor Heinrichs rundes Gesicht schien ehrlich erfreut. Ein verlorenes Schaf kehrte freiwillig zu seinem Hirten zurück. „Ich hätte spätestens zu Michaelis – bleiben wir bei der Wahrheit – Eure Tür eingetreten und Euch ans Tageslicht gezerrt.“ Ich musterte Heinrich. Groß, beinah so groß wie ich selbst, mit der Gestalt einer Eiche und dem Brustkorb eines Fasses. Ja, kein Zweifel, dieser Mann Gottes hätte ohne Weiteres meine Tür eintreten können.
„Ich brauchte Zeit, ich wollte …“ Pastor Heinrich unterbrach mich: „Weiß ich doch, mein Sohn.“ ‚Mein Sohn?‘ Er hatte tatsächlich ‚Mein Sohn‘ zu mir gesagt! Dabei schätzte ich, dass er vielleicht zehn, höchstens fünfzehn Jahre älter war als ich. „Nun, mein lieber Konrad, ich kenne gar nicht Euren ganzen Namen?“ – Heinrich schaute mich an. Seine Augen blickten plötzlich sehr neugierig, neugierig und auch misstrauisch. „Konrad, einfach nur Konrad, lassen wir es doch dabei, Hochwürden.“
Heinrich stutzte einen Moment, dann aber grinste er. Er schlug mir mit der flachen
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