Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
durchging, »weil es sich anhört wie Briefe eines Kindes an seinen Vater.«
Falcón rief Virgilio Guzmán an und fragte ihn, ob er sofort in sein Haus in der Calle Bailén kommen könnte. Sie leerten den Inhalt des Schließfachs in einen großen Plastikbeutel, Falcón erklärte der Filialleiterin, dass das Schließfach jetzt leer war, unterschrieb eine Quittung und händigte seinen Schlüssel aus. Dann fuhren sie in die Calle Bailén, und Falcón las die Briefe, während sie auf Virgilio Guzmán warteten. An jeden Brief war der entsprechende Umschlag geheftet. Alle waren aus Amerika an eine Postfachadresse von Emilio Cruz gesandt worden. Jeder einzelne Brief klang durchaus vernünftig, aber zusammen ergaben sie keinen Sinn.
Guzmán kam und setzte sich mit den Unterlagen an den Schreibtisch. Er betrachtete den Pass und die Tickets.
»Ende Februar 1986, Stockholm, Schweden«, sagte er. »Wissen Sie, was damals passiert ist?«
»Keine Ahnung.«
»Am 28. Februar 1986 wurde der Premierminister Olof Palme erschossen, als er mit seiner Frau aus einem Kino kam«, sagte Guzmán. »Der Mörder wurde nie gefasst.«
»Was ist mit den ganzen Briefen?«, fragte Ramírez.
»Ich kenne jemanden, der mir helfen kann, sie zu entschlüsseln, aber ich nehme an, dass es Anweisungen einer letzten Operation für seinen alten Freund Manuel Contreras sind«, sagte Guzmán. »Er hatte die perfekte Tarnung. Er war komplett ausgebildet. So etwas haben die bei der Operation Condor ständig gemacht. Keine Spur, die man zum Pinochet-Regime zurückverfolgen könnte, und ein schmerzhafter Dorn aus der Haut des Präsidenten ist endlich entfernt. Perfekt.«
»Und warum hat er das Alles aufbewahrt?«
»Ich weiß es nicht, außer dass die Ermordung des Premierministers eines europäischen Landes keine Kleinigkeit ist und er vielleicht das Gefühl hatte, dass er eine Sicherheit brauchte für den Fall, dass sich die Verhältnisse änderten.«
»Wie jetzt zum Beispiel?«, fragte Falcón. »Das Pinochet-Regime ist erledigt…«
»Manuel Contreras sitzt im Gefängnis, nachdem er von seinem alten Freund, dem General, verraten wurde«, sagte Guzmán.
»Und Vega denkt, es ist an der Zeit, alte Rechnungen zu begleichen und zu zeigen, wozu das Pinochet-Regime fähig war?«, fragte Falcón. »Das ist eine Strategie ohne Wiederkehr. Vielleicht kann man Pinochet ins Gefängnis bringen – aber sich selbst erledigt man gleich mit.«
»Und genau das hat er getan«, sagte Guzmán. »Er starb mit dieser Abschiedsbotschaft in Händen. Sie haben getan, was er wollte. Bei der Untersuchung des Verbrechens sind Sie auf seinen Schließfachschlüssel gestoßen, und nun wird sein Geheimnis vor der Welt enthüllt.«
Sie kopierten sämtliche Briefe aus dem Schließfach, und Guzmán nahm sie mit, um sie einem befreundeten Dechiffrier-Experten zu geben, der, wie er verriet, ein ehemaliger DINA-Mann war, der jetzt in Madrid lebte.
»Kenne deinen Feind«, erklärte Guzmán die Beziehung. »Ich scanne sie ein, schicke sie ihm per E-Mail, und er wird sie lesen können wie ein Buch. Bis heute Nachmittag habe ich eine Antwort für Sie.«
Falcón und Ramírez kehrten zur Jefatura zurück, wo sie Señora López und Manolo trafen, der bereits mit seiner Aussage beschäftigt war und Cristina Ferreras Gesellschaft sichtlich genoss. Um ein Uhr war der Junge fertig, und Falcón rief Alicia Aguado an. Er spielte ihr die Aussage über das Telefon vor, und sie willigte ein, sie Sebastián Ortega zu präsentieren.
Ferrera nahm einen Streifenwagen in den Polígono San Pablo, um nach Salvador Ortega zu suchen, während Falcón Alicia Aguado zum Gefängnis fuhr. Sie zeigten Sebastián das Video von Manolos Befragung, und er brach zusammen. Anschließend schrieb er eine fünfzehnseitige Aussage, in der er detaillierte Angaben zu dem fünf Jahre währenden Missbrauch durch Ignacio Ortega machte. Ferrera rief an, um zu melden, dass Salvador jetzt in der Jefatura war. Falcón faxte Sebastiáns Aussage, damit Salvador sie lesen konnte, worauf jener um ein Treffen mit Sebastián bat.
Ferrera brachte ihn zu dem Gefängnis, wo er und Sebastián mehr als zwei Stunden lang miteinander redeten, wonach Salvador sich einverstanden erklärte, eine eigene Aussage zu machen. Außerdem nannte er Falcón sieben weitere Namen von mittlerweile erwachsenen Kindern, die unter seinem Vater gelitten hatten.
Um fünf Uhr aß Falcón gerade ein chorizo bocadillo und trank ein alkoholfreies Bier, als Virgilio
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