Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (German Edition)
Josella war nicht unter ihnen – auch gewahrte ich keine der führenden Personen, die mir im Universitätsgebäude aufgefallen waren – doch unter den Frauen gab es einige, die mir bekannt vorkamen.
Der Prozentsatz der Männer war weit höher als in der früheren Gruppe und von sonderbarer Zusammensetzung. Einige mochten Londoner oder zumindest Städter sein, doch die meisten waren, ihrer Kleidung nach, Landarbeiter. Eine Ausnahme bildete ein Geistlicher mittleren Alters; allen Männern aber war gemeinsam, dass sie blind waren. Unterschiedlicher waren die Frauen. Ein paar trugen eine in diese Umgebung gar nicht passende städtische Kleidung, andere waren vermutlich aus dem Dorf. In der zweiten Gruppe gab es nur eine Sehfähige, in der ersten aber etwa ein halbes Dutzend und außerdem eine Anzahl Mädchen, die zwar blind waren, aber nicht unbeholfen.
Auch Coker hatte die Anwesenden gemustert.
»Komischer Laden, das«, sagte er halblaut zu mir. »Haben Sie Ihre Bekannte schon gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf und merkte an meiner Niedergeschlagenheit, wie sehr ich erwartet hatte, Josella hier zu finden.
»Merkwürdig«, fuhr Coker fort, »ich sehe praktisch keinen von denen, die ich damals eingefangen habe – das Mädel da unten ausgenommen.«
»Hat sie Sie erkannt?«, fragte ich.
»Ich glaube, ja. Sie hat mir einen scheelen Blick zugeworfen.«
Als das Austeilen und Servieren zu Ende war, bekamen auch wir unsere Teller und Plätze an der Tafel. Gegen die Qualität und die Zubereitung der Speisen ließ sich nichts einwenden, besonders wenn man eine Woche lang nur von kalten Konserven gelebt hatte. Nach dem Mahl wurde auf den Tisch geklopft. Der Geistliche erhob sich; er wartete, bis es ruhiger wurde, bevor er zu sprechen begann: »Meine Freunde, wieder ist ein Tag zu Ende und es obliegt uns, Gott erneut für die große Gnade zu danken, mit der er uns inmitten eines solchen Unheils bewahrt hat. Bitten wir ihn alle, er möge denen gnädig sein, die noch verlassen im Dunkel umherirren, und ihre Schritte hierherlenken, damit wir ihnen beistehen können. Flehen wir zu ihm, dass wir die Prüfungen und Heimsuchungen, die uns noch bevorstehen, ertragen, damit wir zu seiner Zeit und mit seiner Hilfe unseren Beitrag zu leisten vermögen beim Aufbau einer besseren Welt.«
Er senkte den Kopf.
»Allmächtiger, gnädiger Gott …«
Nach dem »Amen« wurde eine Hymne gesungen. Hierauf stellten sich die Blinden in Gruppen zusammen, jeder in Tuchfühlung mit seinem Nachbarn, und vier von den sehfähigen Mädchen führten sie hinaus.
Ich zündete eine Zigarette an. Coker nahm zerstreut eine von meinen, ohne ein Wort zu sagen. Ein Mädchen kam zu uns herüber.
»Helfen Sie uns abräumen?«, fragte sie. »Miss Durrant wird hoffentlich bald zurück sein.«
»Miss Durrant?«, wiederholte ich.
»Sie befasst sich mit dem Organisatorischen«, erklärte das Mädchen. »Mit ihr können Sie alles vereinbaren.«
Es war eine Stunde später und beinahe dunkel, als wir hörten, dass Miss Durrant zurückgekehrt sei. Sie erwartete uns in einem kleinen, von zwei Kerzen spärlich erhellten Arbeitszimmer. Ich erkannte sie sogleich als die dunkle Dame mit den zusammengekniffenen Lippen, die in der Versammlung im Universitätsgebäude als Sprecherin der Opposition aufgetreten war. Im Augenblick konzentrierte sich ihre ganze Aufmerksamkeit auf Coker. Ihre Miene war nicht freundlicher geworden.
»Ich höre«, sagte sie kalt, Coker ansehend, als wäre er ein Stück Dreck, »dass Sie es waren, der damals den Überfall organisiert hat?«
Coker bejahte und wartete.
»Dann möchte ich Ihnen gleich jetzt und ein für allemal sagen, dass wir in unserer Gemeinschaft für brutale Methoden nichts übrighaben und sie ablehnen.«
Coker lächelte etwas. Er antwortete in seiner besten Umgangssprache: »Es kommt auf den Standpunkt an. Wer soll entscheiden, wer die Brutaleren waren? Die, die es für ihre Pflicht hielten zu bleiben oder die, die es für ihre Pflicht ansahen zu gehen?«
Sie blickte ihn noch immer unverwandt scharf an. Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert, doch war offensichtlich, dass sie ihr Urteil über Coker revidierte. Weder seine Antwort noch die Art, wie er sie gegeben hatte, entsprachen ihrer Erwartung. Sie wandte sich von ihm ab und mir zu.
»Waren Sie auch mit dabei?«, fragte sie.
Ich erklärte ihr die einigermaßen passive Rolle, die ich damals gespielt hatte, und stellte meine Gegenfrage: »Was ist aus Michael Beadley,
Weitere Kostenlose Bücher