Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman
Hildebrand schlägt mich nie.«
Aber Mutter war es offensichtlich ernst.
»Hildebrand kann dich nicht schlagen, obwohl er viel größer und älter ist als du, weil er nicht die Kraft besitzt. Er würde dich außerdem nicht schlagen, weil er ein sanftes Herz hat und so gut wie nie in Zorn gerät.«
Das war richtig.
»Aber Vater schlägt dich auch nie«, bemerkte ich.
»So ist es. Er wäre stark genug, achtet mich jedoch zu sehr, um je die Hand gegen mich zu heben. Auch deine Onkel Fordolf und Johannes kämen nicht auf den Gedanken, ihre Frauen zu schlagen. Aber viele Männer tun es dennoch.«
Mutter neigte sich zu mir und sprach ganz leise.
»Und dann ist da noch die Kirche. Alle Priester sind Männer, oder hast du schon einmal eine Frau auf der Kanzel gesehen? Sie wollen über die Frauen herrschen und verkünden darum, daß das Weib dem Manne untertan sein soll.«
»Aber Mutter, du willst ja schließlich nicht Priester sein und ich auch nicht. Wir wollen doch Kauffrauen sein.«
»Hast du aber auch bemerkt, wie wenige Kauffrauen es gibt? Die meisten sind es, weil sie als Witwen die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes fortführen müssen - falls sie genügend lernen durften, um das auch zu können.«
»Aber du bist doch keine Witwe, Mutter!«
»Nein, mein Kind, zum Glück nicht. Aber wenn Hildebrands Vater nicht so früh ums Leben gekommen wäre, dann wäre ich wohl für immer seine Gehilfin geblieben. Die blanke Notwendigkeit hat mich nach seinem Tod gezwungen, allen Mut zusammenzunehmen und seine Geschäfte weiterzuführen, denn ich lebte damals nicht in Köln, wo mein Vater und mein Bruder mir zur Seite gestanden hätten. Ich mußte es lernen, und ich habe es gelernt.
Und so mancher Mann, der vor deinem Vater um mich geworben hat, wollte vermutlich nur meine Geschäfte an sich reißen.
Übrigens brauchst du nicht zu glauben, daß ich so unabhängig handeln kann, wie jeder Mann es tut. Wenn ich zum Beispiel vor Gericht klagen will, weil ein Schuldner mich nicht bezahlt, brauche ich einen Mann, der mich vertritt. Deinen Vater, oder, wenn dieser auf Reisen ist, dessen Brüder oder meinen Vetter. Es ist nicht gerecht, aber das Recht will es trotzdem so.
Und nun begreifst du, daß eine wirklich kluge Frau es verstehen muß, sich zurückzuhalten. Merke es dir, Sophia, und vergiß es nie.
Daß du aber nie wieder mit deinem Bruder so sprechen sollst, wie du es vorhin getan hast, ist keine Frage der Klugheit, sondern eine Frage des Anstands und der Liebe.«
Ich merkte es mir. Es blieb, wenn ich mich recht erinnere, das einzige Mal, daß ich jemals überheblich gegen Hildebrand
war, und ich schäme mich noch heute dafür. Als er einige Jahre später gestorben war, erinnerte ich mich wieder daran, wurde von meinem schlechten Gewissen geplagt und weinte mich in den Schlaf.
Aber dann träumte ich eines Nachts, daß Hildebrand vor meinem Bett stand - obwohl er doch niemals hatte stehen können. Er nahm meine Hand und sagte zärtlich: »Liebe kleine Schwester, gräme dich doch nicht mehr. Ich habe dir niemals gegrollt, und wenn, dann hätte ich dir längst verziehen. Hör jetzt auf, um mich zu weinen, und lege lieber einen Blumenkranz auf mein Grab, zum Zeichen für mich, daß du jetzt wieder fröhlich bist.«
Dies war das einzige Mal, daß Hildebrand jemals gesprochen hat, und ich lief in die Schlafkammer meiner Eltern und weckte sie, um ihnen von dem Traum zu erzählen. Im grauen Dämmerlicht des Morgens sah ich, daß meinem Vater die Tränen in die Augen traten. Aber meine Mutter saß aufrecht im Bett, den Kopf hoch erhoben, und sagte: »Ja, so war er, unser Hildebrand. Genau so. Ich konnte es in seinen Augen lesen.«
Nicht lange darauf geschah es, daß ich zum ersten Mal meine Mondblutung bekam. Mutter nahm es zum Anlaß, die ganze Familie einzuladen. Das war sonst durchaus nicht üblich, aber sie fand, daß es eine Feier wert sei, wenn ihre einzige Tochter zur Frau geworden war. Großvater kam natürlich und Onkel Fordolf und Tante Engilradis. Mein Vetter Constantin war wieder einmal mit Erzbischof Rainald von Dassel unterwegs, aber seine Frau Friederun kam und trank ein, zwei Gläser von Vaters Rheinwein mehr, als sie unbedingt gebraucht hätte. Sie wurde ausgesprochen fröhlich und witzig und trug damit sehr zur allgemeinen Stimmung bei.
Vetter Helperich war auf Handelsfahrt in England, seine Frau Petrissa kam aber mit ihrer kleinen Tochter Engilradis im Arm. Auch meine Basen Gertrudis und
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