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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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ermöglichte, wann immer die jüngferliche Frau in mittleren Jahren, gefolgt von vierundvierzig Kindern unter neun, ihren gemieteten Bus verließ und durch die Griechische Periode zog, wie sie das jeden Dienstag und Donnerstag zwischen 9 Uhr 35 und 9 Uhr 40 morgens tat. Zum Glück hatte er sich für sitzende Haltung entschieden.
    Ehe die Woche um war, konnte er sogar die Bewegungen des Wachmannes an einem andersartigen Tick der mächtigen Uhr in der Galerie nebenan erfassen (ein herrliches Stück aus dem achtzehnten Jahrhundert, Blattgold, Email und kleine Engel, die einander im Kreise herumjagten). Es wäre ihm höchst peinlich gewesen, wenn man ihn während der ersten Woche seiner Laufbahn als gestohlen gemeldet hätte, mit keiner besseren Aussicht als der auf zweitrangige Galerien oder eine freudlose Rolle in der freudlosen Privatsammlung eines freudlosen Privatsammlers. Deshalb bewegte er sich höchst behutsam, wenn er sich in der Kantine im Keller mit Lebensmitteln versorgte und gab sich große Mühe, gewisse sympathische Bande zu den laufenden Engeln der Uhr zu entwickeln. Die Museumsleitung hatte es nie für erforderlich gehalten, Kühlschrank oder Speisekammer vor Raubzügen seitens der Ausstellungsstücke zu schützen, ein Mangel an Phantasie, dem er uneingeschränkten Beifall zollte. Er knabberte an gekochtem Schinken und Pumpernickel (hell) und mampfte Dutzende von Portionen Vanilleeiscreme. Nach einem Monat sah er sich gezwungen, in der Bronzezeit Gymnastik zu betreiben.
    „Oh, verloren!“ überlegte er inmitten der Neos und sah sich in dem Reich um, das er einst für sich ausersehen hatte. Er weinte an der Statue des Gefallenen Achilles, als wäre sie seine eigene. Das war sie.
    Wie in einem Spiegel, musterte er sich in einer Collage aus Schrauben und Nußschalen, die gerade zur Hand waren. „Wenn du dich nicht verkauft hättest“, klagte er an, „wenn du ein wenig länger ausgehalten hättest, wie diese hier, die einfachsten Geschöpfe der Kunst … Aber nein! Es konnte nicht so sein!“
    „Oder doch?“ wandte er sich an ein besonders symmetrisches Mobile an der Decke. „Was meinst du?“
    „Vielleicht“, kam von irgendwo eine Antwort, die ihn zu seinem Podest zurückrennen ließ.
    Aber es hatte keine Folgen. Der Nachtwächter hatte an einer üppigen Rubens, auf der anderen Seite des Gebäudes, schuldbewußtes Vergnügen empfunden und hatte den Wortwechsel nicht mitangehört. Smith entschied, daß die Antwort ihren Grund darin hatte, daß er sich zufällig dem Dharana genähert hatte. Er kehrte auf den Pfad zurück, verdoppelte seine Bemühungen um die Negierung seiner selbst und sah geschlagen aus.
     
    In den nun folgenden Tagen hörte er gelegentlich ein Kichern oder Flüstern, das er zunächst als die Geräusche der Kinder von Mara und Maya abtat. Später war er dessen nicht mehr so sicher, hatte sich aber inzwischen zu einer Haltung von passiver Wißbegierde entschlossen.
    Und dann betrat eines schönen Frühlingstages, so grün und so golden wie ein Gedicht von Dylan Thomas, ein Mädchen die Griechische Periode und sah sich verstohlen um. Es fiel ihm schwer, seine marmorne Reglosigkeit zu bewahren, denn – man höre und staune – sie begann sich zu entkleiden.
    Und auf dem Boden lag ein großes Paket in braunem Packpapier. Das konnte nur eines bedeuten …
    Konkurrenz!
    Er hustete höflich, leise, klassisch …
    Sie zuckte zusammen und erinnerte ihn an ein Inserat für Damenunterwäsche, das sich mit Thermopylae befaßte. Ihr Haar hatte genau den richtigen Farbton dafür – ein helles Rotblond –, und ihre grauen Augen glitzerten so eisig wie die der Athene.
    Sie sah sich in dem Saal um, schuldig, attraktiv …
    „Stein ist ohne Zweifel für Erkältungen immun“, entschied sie. „Wahrscheinlich hat sich nur mein schlechtes Gewissen geräuspert. Gewissen, hiermit lege ich dich ab!“
    Und sie wurde zur Klagenden Hekuba, schräg gegenüber dem Geschlagenen Gladiator und glücklicherweise nicht in seine Richtung blickend. Sie machte ihre Sache im übrigen recht gut, räumte er widerstrebend ein. Bald erlangte sie ästhetische Unbeweglichkeit. Nach einer gründlichen professionellen Prüfung entschied er, daß Athen in der Tat die Mutter aller Künste war; sie hätte einfach nicht in die Renaissance oder die Romanische Periode gepaßt. Er fühlte sich bei dieser Feststellung ziemlich wohl.
    Als die mächtigen Türen sich schlossen und die Alarmanlagen eingeschaltet waren, seufzte sie

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