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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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Händen knienden Menschen aus zwei Meter Entfernung miterlebt! Dem Mitempfinden derer, die nicht dabei waren, sind eben Grenzen gesetzt.
     
    Ich bin schon im Zweifel, ob von anderen Menschen nachempfunden werden kann, was sich in meiner lebhaften Erinnerung über gewisse Kommunikationen spiegelt, die es – außer dem, was die Gesamtheit der Geiseln gemeinsam betraf – zwischen mir und 30 diesen vier Menschen gab, die uns Wehrlose in ihrer Gewalt hatten. Es war eine seltsame, durch die spezielle Situation bedingte Art von zwischenmenschlichen Beziehungen, die merkwürdig oder gar unverständlich erscheinen mag und die man wohl vereinfachend Augenkontakte nennen kann. Wenn ich an die Reaktion meiner Zuhörer denke, von denen sich die meisten solche Kontakte nur im Zusammenhang mit Angst oder mit Haß vorstellen können, dann habe ich nicht viel Hoffnung, Verständnis dafür zu finden, wie ich sie erlebt habe.

    Abb.   2 : Karl Hanke (auf dem Bild mit einem seiner Enkel) schrieb über seine 106 Stunden als Geisel in der »Landshut« einen Zeitungsbeitrag. Er verzichtete seinerzeit auf eine Namensnennung. 29

    Es gibt etwas, das der Vermittlung an andere verschlossen bleibt, wenn sie nicht selbst schon einmal von der Grenze zwischen Leben und Tod zurückgekehrt sind: Wie man – das unabwendbare Ende vor sich – an seine Angehörigen denkt (was war, was wird sein?);
    wie man – den Tod unmittelbar vor Augen – sein Leben überblickt (wie ist es gewesen?);
    was man – im Angesicht des Todes – über den Tod denkt (was mag wohl kommen?). Fragen in die Vergangenheit – Fragen in die Zukunft.
    Doch bevor es zu diesen Fragen kam, war da zunächst die akute Gegenwart. Schon nach wenigen Sekunden ist mir klar, was hier vorgeht. Nachdem dann über Bordlautsprecher die Ingewaltnahme der Maschine verkündet ist und die Nichtbeachtung eines der gegebenen Befehle mit sofortiger Erschießung bedroht worden ist (»will be executed immediately«), nachdem die Stewardessen und die Passagiere aus der »first class« und aus der ersten Reihe der Touristenklasse ins Heck der Maschine getrieben sind, nachdem sie einzeln nach vorn befohlen, nach Waffen gefilzt und dann auf einen der freien Plätze dirigiert sind (die Maschine ist nicht voll ausgebucht), nachdem wir nun alle angegurtet mit Händen über dem Kopf dasitzen, da besteht erstmals Gelegenheit, ruhige Gedanken zu fassen. Und ich denke nach.
    Für die Beendigung dieses Abenteuers gibt es verschiedene Vermutungsvarianten, die aber im wesentlichen auf zwei Möglichkeiten zusammenschrumpfen: glücklicher oder tödlicher Ausgang.
      31 Über die Möglichkeiten des Überlebens nachzudenken bringt jetzt nicht viel; auf welche Weise auch immer es gelingen mag, entscheidend ist dabei nur das Überleben, später kann man weiterdenken. Das ist bei der zweiten Möglichkeit anders, dann ist das Denken vorbei. Ob diese zweite Lösung, das physische Ende, durch Pistolenkugeln, Handgranaten, Sprengstoff, Bruchlandung, Absturz, Explosion oder durch Feuer erfolgt oder durch eine Kombination dieser Möglichkeiten, ist im Endresultat gleich: Es ist der Tod. Nur er, der über alle diese Varianten Dominierende, ist erwägenswert. Ich kann morgen durch einen Autounfall oder durch eine Krankheit sterben. Einen solchen Tod müßte ich hinnehmen. Was ist anders bei diesem Tod? Nichts, ich muß auch diesen akzeptieren.
    Daheim hatten sich alle meine Kinder – sonst vom Norden bis Süden in der Bundesrepublik verstreut – zu einem Krisenstab zusammengefunden und kurz vor Ablauf des allerletzten Ultimatums in einem Telegramm an den Bundeskanzler zur Rettung der Geiseln die Freilassung der Gefangenen gefordert. Sie wollten – koste es, was es wolle – das Leben des Vaters retten, des Vaters, der seinen möglichen Tod bereits Tage vorher akzeptiert hatte. Ich habe deshalb volles Verständnis für alle die Bemühungen der Familie Schleyer, das Leben des Familienvaters zu retten. Ich lasse die Antwort auf die Frage offen, ob die Briefe von Hanns Martin Schleyer an seine Familie ganz aus freiem Willen geschrieben worden sind. Der Familie Schleyer, die den Menschen Schleyer ja am besten kannte, wünschte ich, sie könnte sich diese Fragen mit Nein beantworten, wenn sie sich in seine Lage hineindenkt. Hätte er nämlich anders gedacht, als er schrieb, dann wäre für ihn alles leichter gewesen. [Hanns Martin Schleyer bat die Bundesregierung in Briefen, auf die Forderungen der Entführer

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