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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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meinen Hosenbeinen auch die Sitzlehne hinter mir mit Whisky übergoß, hatte auch meine Fesselung etwas abbekommen; sie wurde geschmeidiger, was ich als Erleichterung empfand.
    Bei der ersten Fesselung meinte ich, das sei doch nicht auszuhalten. Aber ich mußte mir dann sagen, ich halte es ja aus; der Mensch hält eben mehr aus, als man denkt. Bei Ablauf des letzten Ultimatums überlegte ich, ob ich den Kopf oben behalten soll, damit ihn mir die Sprengladung wegriß, oder ob ich »auf Tauchstation« gehen soll, um abzuwarten, wann die blauen Flammen an meinen Hosenbeinen hochlecken würden. (Ich erinnerte mich dabei an die flambierten Bananen des Abschiedsessens im mallorquinischen »Sera de Pula«.)
    Ob man wohl durch Sauerstoffmangel oder durch Schmerzschock zuerst bewußtlos würde? Bei der Vorstellung der Brandschmerzen mußte ich wieder denken, auch andere hätten das schon durchgemacht. Aber ich entschied mich dann doch, den Kopf oben zu behalten, es erschien mir das kürzere Übel. Da kam Mahmud aus dem Cockpit gerannt und fragte den hinter mir sitzenden Kopiloten, wie lange eine Maschine von Frankfurt nach Mogadischu braucht. Das entscheidende Gespräch mit dem Tower war im Gange.
    Mit der Dicken verband den Jungen anscheinend nur die ihnen übertragene gemeinsame Aufgabe, ohne daß sie ansonsten menschlich eng liiert waren, was hingegen zwischen Mahmud und der Kleinen offensichtlich der Fall war. Diese beiden hatten – wenn der überaus geltungssüchtige Mahmud nicht gerade eine seiner Haß-Eskapaden durchführte – das Cockpit unter Kontrolle. Die beiden Sitzreihen vor der Trennwand, ebenfalls von Passagieren 37 geräumt, dienten links des Ganges der Stapelung unseres Handgepäcks und rechts als Kommandostand.
    Das ständige Hochhalten der beiden Handgranaten war für die Dicke gewiß recht anstrengend, selbst wenn sie auf dem Sitz kniete und die Ellbogen auf die Lehne aufstützte. Manchmal stand sie zur Abwechslung im Mittelgang neben der Sitzreihe. Sie nahm dann eine sehr legere Haltung ein, so daß ihr lässig vorgeschobener Bauch die Vermutung aufkommen ließ, sie könnte im vierten oder fünften Monat schwanger sein. Das hat ihr wohl – auch bei den übrigen Geiseln – den Namen »die Dicke« eingetragen.
    Außer am Anfang, als die »Kämpfer für die Freiheit« die Maschine in ihre Gewalt genommen hatten, habe ich die Dicke niemals aggressiv gesehen. Ich meine, sie ist eigentlich eine sehr gut aussehende Frau. Ihr schulterlanges gepflegtes Haar hatte sie nur einmal streng nach hinten gekämmt und zusammengebunden; da dachte ich noch, wie sehr doch die Haartracht den Gesamteindruck bestimmt und daß ich sie eigentlich nur an ihrem ebenmäßigen Gesicht und ihren großen dunklen Augen wiedererkennen würde.
    Mit diesen Augen schaute sie auch den tobenden Mahmud ruhig an, wenn er auch sie zu Aggressivität anstacheln wollte; etwa wenn er ein Revolutionstribunal gegen den Kapitän oder den Kopiloten oder gegen eine der mißhandelten Frauen inszenierte, die sich am nächsten Morgen um neun Uhr zur »execution« melden sollten. Dieses zwar keinen Widerspruch ausdrückende, aber ruhige Standhalten ihrer Augen moderierte den Rasenden ganz offensichtlich.
    Am vorletzten Tage versuchte ich einmal, auch ihren Blick festzuhalten, um mir ein besseres Bild machen zu können, welche Beweggründe diese Frau in diese Situation geführt haben mögen. Sie erwiderte meinen Blick ebenso ruhig und quasi leise fragend, wandte sich aber nach zehn Sekunden ruckartig ab mit einem Gesichtsausdruck wie etwa »was soll das, Schluß damit«.
    Mit zustimmenden Gesten und Mienen unterstützte die Kleine 38 den Anführer bei seinen Haßausbrüchen. Sie war offensichtlich bemüht, ihm stets nachzueifern und dem angehimmelten Geliebten zu beweisen, daß sie ihm an Brutalität und Haßgefühlen keineswegs nachstand. Sie war offensichtlich sehr kurzsichtig; nur einmal trug sie – während sie die Dicke für einige Stunden ablöste – eine dünn gerandete, rundglasige Brille. Ansonsten klemmte sie – wie Kurzsichtige zu tun pflegen – die Augenlider etwas zusammen. Ihre Kurzsichtigkeit war wohl auch der Grund dafür, daß man schon aus meiner nicht allzu großen Entfernung keinen Augenkontakt mit ihr bekommen konnte.
    Im Gegensatz zu der später von anderen Geiseln geäußerten Meinung fand ich sie eher häßlich als schön. Sie konnte zwar, wenn sie zum Beispiel den kleinen Jungen streichelte, mit weit

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