Die unendliche Geschichte
mit der Klinge um als er. Und Hýdorn schließlich war davon überzeugt, daß niemand ihm beim Kampf an Zähigkeit und Ausdauer gleichkäme. Seine Erscheinung gab dieser Behauptung recht, denn er war lang und mager und schien nur aus Sehnen und Knochen zu bestehen. Nachdem die Mahlzeit beendet war, brach man auf. Geschirr, Tuch und Speisevorräte wurden in den Satteltaschen eines Saumtiers verstaut. Prinzessin Oglamár bestieg ihren weißen Zelter und trabte einfach fort, ohne sich nach den anderen umzusehen. Held Hynreck sprang auf seinen kohlschwarzen Hengst und galoppierte ihr nach. Die drei übrigen Herren schlugen Bastian vor, auf dem Saumtier zwischen den Vorratstaschen Platz zu nehmen. Er schwang sich hinauf, die Herren bestiegen ebenfalls ihre prächtig gezäumten Pferde, und dann ging es im Trab, Bastian als letzter, durch den Wald. Das Saumtier, eine ältere Mauleselin, blieb immer weiter zurück, und Bastian versuchte sie anzutreiben. Aber statt schneller zu laufen, blieb die Mauleselin stehen, wandte ihren Kopf zurück und sagte:
»Du brauchst mich nicht anzutreiben, ich bin absichtlich zurückgeblieben, Herr.« »Warum?« fragte Bastian.
»Ich weiß, wer du bist, Herr.«
»Woher willst du das wissen?«
»Wenn man bloß ein halber Esel ist wie ich und kein ganzer, dann fühlt man so was. Sogar die Pferde haben etwas gemerkt. Du brauchst mir nichts zu sagen, Herr. Ich würde es gern meinen Kindern und Enkeln erzählen können, daß ich den Retter getragen und als erste begrüßt habe. Leider hat unsereins keine Kinder.«
»Wie heißt du?« fragte Bastian.
»Jicha, Herr.«
»Hör mal, Jicha, verdirb mir nicht den Spaß und behalte vorerst für dich, was du weißt. Willst du?«
»Gern, Herr.«
Und dann setzte die Mauleselin sich in Trab, um die anderen wieder einzuholen. Die Gruppe wartete am Waldrand. Alle blickten bewundernd zu der Stadt Amargánth hinunter, die im Sonnenschein vor ihnen glänzte. Der Waldrand lag auf einer Anhöhe, und von hier aus hatte man einen weiten Ausblick über einen großen, fast veilchenblauen See, der zu allen Seiten von ähnlichen bewaldeten Hügeln umgeben war. Und mitten in diesem See lag die Silberstadt Amargánth. Alle Häuser standen auf Schiffen, die großen Paläste auf breiten Lastkähnen, die kleineren auf Barken und Booten. Und jedes Haus und jedes Schiff bestand aus Silber, aus feinziseliertem und kunstvoll verziertem Silber. Die Fenster und Türen der kleinen und großen Paläste, die Türmchen und Balkone, waren aus Silberfiligran so wundervoller Art, daß es in ganz Phantasien nicht seinesgleichen gab. Allenthalben auf dem See waren Boote und Barken zu sehen, die Besucher von den Ufern in die Stadt brachten. So beeilte sich nun auch Held Hynreck und seine Begleitung den Strand zu erreichen, wo eine Silberfähre mit herrlich geschwungenem Bug wartete. Die ganze Gesellschaft samt Pferden und Saumtier fand darauf Platz.
Unterwegs erfuhr Bastian von dem Fährmann, der übrigens ein Kleid aus Silbergewebe trug, daß die veilchenblauen Wasser des Sees so salzig und bitter waren, daß nichts auf die Dauer ihrer zersetzenden Wirkung widerstehen konnte - nichts, außer dem Silber. Der See hieß Murhu oder der Tränensee. In langst vergangenen Zeiten habe man die Stadt Amargánth mitten auf den See hinausgefahren, um sie gegen Überfälle zu sichern, denn wer auch immer auf Holzschiffen oder Eisenkähnen versucht habe, sie zu erreichen, sei untergegangen und verloren gewesen, weil das Wasser Schiff und Besatzung in kurzer Zeit aufgelöst habe. Aber jetzt habe man einen anderen Grund, Amargánth auf dem Wasser zu lassen. Die Bewohner liebten es nämlich, ihre Häuser ab und zu umzugruppieren und Straßen und Plätze neu zusammenzustellen. Wenn zum Beispiel zwei Familien, die an den entgegengesetzten Rändern der Stadt wohnten, sich befreundeten oder miteinander verwandt wurden, weil ihre jungen Leute heirateten, dann verließen sie ihren bisherigen Standort und legten ihre Silberschiffe einfach nebeneinander, wodurch sie Nachbarn wurden. Das Silber war, nebenbei bemerkt, besonderer Art und ebenso einmalig wie die unvergleichliche Schönheit seiner Bearbeitung.
Bastian hätte gern noch mehr darüber gehört, aber die Fähre war in der Stadt angekommen, und er mußte mit seinen Reisegenossen aussteigen.
Zunächst suchten sie nun eine Herberge, um Unterkunft für sich und ihre Tiere zu finden. Das war nicht ganz leicht, denn Amargánth war von Reisenden, die von
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