Die unendliche Geschichte
Herrn Koreanders Buchhandlung stand, sank ihm doch noch einmal der Mut. Er blickte durch die Scheibe, auf der die geschnörkelten Buchstaben standen, ins Innere des Ladens. Herr Koreander hatte gerade einen Kunden, und Bastian wollte lieber warten, bis der gegangen war. Er begann vor dem Antiquariat auf und ab zu gehen. Es fing wieder zu schneien an.
Endlich verließ der Kunde den Laden.
»Jetzt!« befahl sich Bastian.
Er dachte daran, wie er Graógramán in der Farbenwüste Goab entgegengetreten war. Entschlossen drückte er auf die Klinke.
Hinter der Bücherwand, die den dämmerigen Raum am anderen Ende begrenzte, war ein Husten zu hören. Bastian näherte sich ihr, dann trat er, ein wenig blaß, aber ernst und gefaßt, vor Herrn Koreander hin, der wieder in seinem abgewetzten Ledersessel saß wie bei ihrer ersten Begegnung.
Bastian schwieg. Er hatte erwartet, daß Herr Koreander zornrot auf ihn losfahren würde, daß er ihn anschreien würde: »Dieb! Verbrecher!« oder irgend etwas Derartiges. Statt dessen zündete sich der alte Mann umständlich seine gebogene Pfeife an, wobei er den Jungen durch seine lächerliche kleine Brille aus halb zugekniffenen Augen musterte. Als die Pfeife endlich brannte, paffte er eine Weile angelegentlich und knurrte dann: »Na? Was gibt’s? Was willst du denn schon wieder hier?«
»Ich -«, begann Bastian stockend, »ich habe Ihnen ein Buch gestohlen. Ich wollte es Ihnen zurückbringen, aber das geht nicht. Ich hab’s verloren oder vielmehr - jedenfalls ist es nicht mehr da.«
Herr Koreander hörte zu paffen auf und nahm die Pfeife aus dem Mund.
»Was für ein Buch?« fragte er.
»Es war das, in dem Sie gerade gelesen haben, als ich das letzte Mal hier war. Ich habe es mitgenommen. Sie sind nach hinten zum Telefonieren gegangen, und es lag da auf dem Sessel, und ich hab’s einfach mitgenommen.«
»Soso«, sagte Herr Koreander und räusperte sich. »Mir fehlt aber kein Buch. Was für ein Buch soll denn das gewesen sein?«
»Es heißt Die Unendliche Geschichte«, erklärte Bastian, »es ist von außen aus kupferfarbener Seide und schimmert so, wenn man es hin und her bewegt. Zwei Schlangen sind darauf, eine helle und eine dunkle, die sich gegenseitig in den Schwanz beißen. Innen ist es in zwei verschiedenen Farben gedruckt-mit ganz großen, schönen Anfangsbuchstaben.« »Ziemlich sonderbare Sache!« meinte Herr Koreander. »So ein Buch hab’ ich nie besessen. Also kannst du mir’s auch nicht gestohlen haben. Vielleicht hast du’s woanders geklaut.« »Bestimmt nicht!« versicherte Bastian. »Sie müssen sich doch erinnern. Es ist -«, er zögerte, aber dann sprach er es doch aus, »es ist ein Zauberbuch. Ich bin in die Unendliche Geschichte hineingeraten beim Lesen, aber als ich dann wieder herauskam, war das Buch weg.« Herr Koreander beobachtete Bastian über seine Brille hinweg.
»Du machst dich doch nicht etwa lustig über mich, wie?«
»Nein«, antwortete Bastian fast bestürzt, »ganz bestimmt nicht. Es ist wahr, was ich sage. Sie müssen es doch wissen!«
Herr Koreander überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf.
»Das mußt du mir alles genauer erklären. Setz dich doch, mein Junge. Bitte, nimm Platz!« Er wies mit dem Stiel seiner Pfeife auf einen zweiten Sessel, der dem seinen gegenüber stand. Bastian setzte sich.
»Also«, sagte Herr Koreander, »und nun erzähl’ mir mal, was das alles bedeuten soll. Aber langsam und der Reihe nach, wenn ich bitten darf.«
Und Bastian begann zu erzählen.
Er tat es nicht so ausführlich wie beim Vater, aber da Herr Koreander immer größeres Interesse bekundete und immer noch Genaueres erfahren wollte, dauerte es doch mehr als zwei Stunden, bis Bastian damit fertig war.
Wer weiß warum, aber merkwürdigerweise wurden sie während dieser ganzen Zeit durch keinen einzigen Kunden gestört.
Als Bastian seinen Bericht beendet hatte, paffte Herr Koreander lange Zeit vor sich hin. Er schien tief in Gedanken versunken. Schließlich räusperte er sich wieder, setzte seine kleine Brille zurecht, blickte Bastian eine Weile prüfend an und sagte dann:»Eins steht fest: Du hast mir dieses Buch nicht gestohlen, denn es gehört weder mir noch dir, noch sonst irgendeinem anderen. Wenn ich mich nicht irre, dann stammte es selbst schon aus Phantasien. Wer weiß, vielleicht hat es in genau diesem Augenblick gerade jemand anders in der Hand und liest darin.«
»Dann glauben Sie mir also?« fragte
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