Die Ungehorsame Historischer Roman
ergaben, Leonora habe das fünfundzwanzigste Lebensjahr schon erreicht, ohne jemals auch nur an eine Verlobung gedacht zu haben. Desgleichen erfuhr er, die Vermögensverhältnisse Gutermanns seien nicht so üppig, dass eine reiche Mitgift zu erwarten war. Aber dieser Punkt hatte für ihn wenig Relevanz. Auch in ihrem katholischen Glauben sah er keinen Hinderungsgrund.
Hendryk Mansel brauchte eine Ehefrau, aus den verschiedensten Gründen. Geld war keiner davon. Liebe auch nicht. Aber eine untadelige Dame, die seinem Haushalt vorstand und die Aufgaben in seinem Heim sorgfältig erledigte, würde seine Situation deutlich verbessern.
Also legte er an einem Sonntagvormittag im frühen März die korrekte Besuchskleidung an und sprach im Hause Gutermann vor.
Der Vater hatte Mühe, seine Begeisterung zu verbergen, die ihm der Antrag des verdienstvollen Geodäten entlockte, was Mansel mit heimlicher Belustigung registrierte. Es war ihm durchaus klar, Leonora hätte eine bessere Partie machen können. Unter strengen Gesichtspunkten galt er nämlich nicht als idealer Herr, da er für seinen Lebensunterhalt selbst zu arbeiten pflegte.
Auf die Reaktion der Tochter war er daraufhin milde gespannt. Würde sie sich ebenfalls erfreut zeigen oder trotzig ihre Einwilligung verweigern? Beides lag im Bereich des Möglichen.
Vielleicht hatte er sogar eine heftigere Regung erhofft, denn ihre kühle, höfliche Zusage wirkte seltsam ernüchternd auf ihn, wenngleich er nichts an ihrem Benehmen beanstanden konnte.
Man verkündete die Verlobung am Ostersonntag. In der Woche darauf hatte er das Haus gekauft und war von seiner kleinen Mietwohnung dorthin umgezogen. Zwei Tage später hatten sich Jette und Albert, die er bereits in Aachen schätzen gelernt hatte, eingefunden, um das Hauswesen in Ordnung zu halten.
Seine Arbeit ließ es nicht zu, allzu viel Zeit mit seiner Verlobten zu verbringen, was sie nicht einklagte, sondern nur einmal die Erlaubnis erbat, vor der Hochzeit noch einen Monat in Königswinter bei ihrem Onkel, dem Pastor Merzenich, verbringen zu dürfen.
Nun waren sie verheiratet. Zu ungünstigen Eindrücken, wie er sie von seiner Frau bei der Trauung gewonnen hatte, hatte es bisher
keine weiteren Anlässe gegeben. Weder gab sie sich trotzig, noch widersprach sie seinen Wünschen oder stellte Forderungen. Vielleicht könnte ihr Ton den Kindern gegenüber etwas herzlicher sein, aber er war bereit, ihr da ein wenig Zeit einzuräumen.
Die Fortifikationsanlagen Kölns kamen allmählich in sein Blickfeld, und er zog die Taschenuhr hervor. Kurz vor vier - nun, er würde noch im Kontor vorbeischauen, und vielleicht ergab sich sogar noch eine Gelegenheit, sich mit Ernst auf einen Kaffee zu treffen.
Der Leutnant hat eine ausgesprochene Vorliebe für meine Gattin entwickelt, stellte er fest und wunderte sich ein wenig darüber. Denn hübsch war sie eigentlich wirklich nicht zu nennen. Sie fasste ihre hellbraunen Haare straff zusammen, was ihr ovales Gesicht sicher auf die richtige Weise betonte, aber ihre Lippen waren für das gängige Schönheitsideal zu breit. Möglicherweise gab sie ihnen deswegen häufig einen verkniffenen Zug. Ihre Figur war eher zierlich, jedoch schien sie wenig Wert auf die modisch eng geschnürte Taille zu legen. Immerhin hatte sie eine klare, reine Haut und lange, gebogene Wimpern, deren Spitzen golden schimmerten. Er hatte sie diesen Morgen eine Weile betrachtet, als sie, noch schlafend, neben ihm lag. Eigentlich waren auch ihre Augen ausdrucksvoll, von einem helleren Braun als das seine, doch sie hielt sie zumeist sittsam niedergeschlagen. Nur ihre Hände waren wirklich schön - langgliedrig, schmal und von gepflegter Zartheit.
Sie hatten ihn noch nie berührt.
Und das war ganz in seinem Sinne.
In den Räumlichkeiten, in denen die zwei Landvermesser, die Hendryk Mansel angestellt hatte, ihre Unterlagen erstellten, polterte der Oberbergamtsrat von Alfter herum. Als er Mansels ansichtig wurde, hielt er in seiner Tirade inne, die er auf die beiden Angestellten hatte herunterprasseln lassen, und hub zu einem neuen Thema an.
»Mensch, Mansel! Endlich erwischt man Sie mal. Wann immer man Sie braucht, heißt es hier, Sie seien unterwegs!«
»Guten Tag, Herr Oberbergamtsrat. Schön, Sie zu sehen. Was kann ich denn für Sie tun? Haben meine Leute Ihnen keine Auskunft geben können?«
»Doch natürlich. Gute Männer, die. Durchaus sachkundig. Aber man braucht auch Sie, Mansel.«
»Ich habe die
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