Die unsicherste aller Tageszeiten
schlafen scheint.
Ich will gerade weitergehen, da sehe ich aus einem der Fenster einen Spalt Licht dringen, genau dort, wo der Vorhang sich beim Zuziehen zu weit in die Mitte geschoben und unbemerkt eine Öffnung am Rand gelassen hat. Dieser Schlitz aus Stoff und Helligkeit zieht mich wie magisch an, ich muss einfach hindurchschauen und sehen, was dahinter passiert, was vor mir verborgen werden soll. Also pirsche ich mich langsam heran, ein Dieb in der Nacht, der nichts anderes stehlen will als anderer Leute Intimsphäre, drücke mich unter den Fenstersims durch, achte nur darauf, nicht mit dem Rücken an der Mauer entlangzuschaben, um nur ja kein verräterisches Geräusch zu machen, und merke erst viel zu spät, dass ich ein herbstlich-welkes Blumenbeet zertrampele. Doch ist es schon zu spät, um mich noch von dem hier abzuhalten, schon lauere ich an der Wand neben dem Fenster wie eine Spinne auf dem Saum ihres Netzes und beuge mich vor und ganz dicht an die Glasscheibe heran, auf der Regentropfen sitzen und Licht und Sicht etwas brechen, so dicht, bis ich mir die Nase daran platt drücke und genug sehen kann. Ganz weit weg, verwirrt in den hintersten Regionen meines Gehirns, bin ich mir der Schäbigkeit meines Tuns bewusst, doch spüre ich nur noch Verzweiflung, und meine einzige Angst ist es, vielleicht von einem anderen mitternächtlichen Passanten überrascht und angezeigt zu werden.
Ich sehe einen Mann und eine Frau, beide definitiv jenseits der sechzig, beide grau und aufgeschwemmt und mit Haaren an Stellen, wo sie nicht gerade ästhetisch besonders wertvoll sind; besonders sein Rücken sieht dadurch aus, als würde er schon schimmeln. Und von seinem Rücken sehe ich letztendlich am meisten, denn er liegt fast die ganze Zeit über, die ihr Akt dauert, auf ihr. Das ist nicht besonders einfallsreich und braucht bis zum Höhepunkt nicht lange, aber ich muss wohl auch das gesamte Vorspiel verpasst haben. Trotzdem, obwohl alles so schnell schon wieder vorbei ist, wirken die beiden hinterher entspannt und glücklich und sind einander sehr liebevoll zugetan. Sie reden wenig und lächeln viel und streicheln sich sehr zärtlich. Ein altes Ehepaar, bei dem ein Partner um die Lieblingskosestellen des anderen ganz genau weiß.
Er hat sie ohne Gummi gevögelt, das habe ich ebenfalls gesehen. Für so etwas habe ich ein Auge, und wenn ich Pornos gucke, dann sowieso nur Bareback-Pornos. Normalerweise geilt mich das sehr auf, diese Form von Sex, die über Jahrtausende die übliche und normale und natürliche unter den Menschen war und heute nur noch als roh und brutal und gefährlich gilt wegen der Krankheiten (und bei Heteros Kinder), die dabei übertragen werden könnten. Könnten. Nicht müssen. Schon gar nicht zwangsläufig. Aber die Gefahr ist doch vermutlich recht hoch – und antörnend wiederum: der kleine Tod im Orgasmus, der schnell zum großen Tod werden kann. Wenn wir alle schon sterben müssen, warum ihn denn nicht durch etwas so Angenehmes wie Beischlaf herbeiführen? Wäre es nicht wirklich schön, im Kommen zu gehen? Schwarze Witwen und andere Spinnen fressen, wenn sie ihrer habhaft werden können, das Männchen nach der Begattung auf, Sex ist das Letzte, was diese Glücklichen tun.
Aber ich bin ja gar nicht glücklich, ich bin nur irgendwo noch weit unterhalb des Nullpunkts angekommen. Denn wie in einer schlechten Peepshow, der mehr eine Freakshow ist, besieht man sich die Darsteller, versuche ich es allen Widrigkeiten zum Trotz mit Selbstbefriedigung. Mit klammen Fingern öffne ich den Reißverschluss meiner Jeans, klaube meinen Schwanz aus dem Stoff der Unterhose, in den er sich tief eingewickelt hat und aus dem er kaum herauskommen will, und fange an zu wichsen. Die Hand zur Faust geballt und um das Organ geschlossen, will ich mit harten, schnellen Bewegungen Blut und Wärme, Lebensenergie in die Schwellkörper massieren, während ich das Auge unverwandt auf die beiden Alten im Zimmer gerichtet halte und mir beinahe schon ein Wettrennen mit ihm liefere, wer wohl als Erster kommen würde. Um mir einen Vorteil zu verschaffen, will ich dabei an Klaus denken, beim Onanieren hilft das sonst immer. Mir vorzustellen, wie Klaus’ warme weiche Hände mich ein ums andere Mal zum Höhepunkt gebracht haben, macht gewöhnlich selbst aus der einsamsten Zweckveranstaltung noch ein spritziges Vergnügen. Nur meine Hände sind so kalt, die können mir nicht vorgaukeln, einem anderen zu gehören. Und während drinnen
Weitere Kostenlose Bücher