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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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der Typ in seiner Ehehälfte zum Gott weiß wievielten Mal in ihrem gemeinsamen Leben zum Abschluss kommt, bleibe ich als Totalversager zurück.
    Drinnen geht das Licht aus, und draußen stehe ich mit offenem Hosenstall und eingeschrumpeltem, alles andere als baumelndem Schwanz in der Kälte und möchte am liebsten nur noch heulen und nach Klaus schreien. Elender kann man sich gar nicht fühlen!
    »Ich will nach Hause«, kommt es mir als tragisches Wimmern über die Lippen, und zugleich fange ich so sehr an zu frieren, dass ich mich nur noch schüttle und scheinbar eine halbe Ewigkeit lang zu gar keiner anderen Bewegung mehr fähig bin. Je länger ich jedoch dastehe und mich nicht bewegen kann, desto kälter wird mir, desto mehr erstarre ich in diesem grausamen Zittern. Nichts außer diesem unerträglich kläglichen Wimmern scheint mir mehr geblieben: »Ich will nach Hause.«

Nach Hause … Wo ist das? Bei Klaus? Bei meinen Eltern? In Hamburg oder doch in Berlin? Dort, wo mein Atelier ist? Zuhause – was ist das? Eine Familie, die mich liebt? Freunde, auf die ich mich immer verlassen kann? Die Arbeit als der feste Anker meines Lebens? Wenn ja, habe ich dann so etwas wie ein Zuhause überhaupt? Ich habe Bekannte und Sex und eine lange Reihe von gebrochenen Herzen, die ich mir wie Schrumpfköpfe oder andere abgeschmackte Trophäen auf die Kommode stellen könnte. Ich habe Dinge gemacht, die ich, an mir begangen, einem anderen niemals verzeihen würde – ich habe vergifteten Samen gestreut! Wofür ich nicht einmal wirklich um Verzeihung bitten kann. Ich tue immer nur so als ob. Ich mache mir selbst was vor und zerfließe dann wonnevoll vor Selbstmitleid. Ich lebe in einem Kartenhaus aus Illusionen und verschwende alle meine Energien darauf, es vor dem Einsturz zu bewahren.
    Einmal mehr ist mir nach Heulen zumute, zum x-ten Mal an diesem Tag schluchze ich, als würde mir ein Schluckauf in Form von Maschinengewehrsalven aus dem Bauch kommen und zum verzerrten Mund herausschießen. Nur Tränen fließen immer noch nicht. Ich friere inzwischen entsetzlich, die Kälte scheint mir so tief unter die Haut, bis ins Knochenmark gedrungen zu sein, dass ich fast schon befürchte, sie niemals wieder aus mir herauszubekommen. Habe ich mir nicht schon eine tödliche Dosis davon geholt?
    Ich muss sofort ein heißes Bad nehmen und mich aufwärmen, schießt es mir in den Sinn, sonst erkälte ich mich wirklich noch ernsthaft. Obwohl der Gedanke vollkommen lächerlich ist in seiner Harmlosigkeit – das ist ja wohl das geringste meiner Probleme – schafft er es endlich, mir den nötigen Antrieb zu geben, meinen Schwanz zurück in die Hose zu stopfen, den Reißverschluss halbwegs zu schließen und mich von diesem Acker hier zu machen.
    Noch nicht ganz wieder bei Sinnen, laufe ich zuerst zum Fähranleger, der jedoch in nächtlichem Tiefschlaf liegt. Wohin hätte mich die Fähre denn jetzt auch bringen sollen? Ich habe doch im Moment nur Klaus’ kleine Kate. Das ist alles, was mir als Zuhause gerade zur Verfügung steht. Also muss ich auch dorthin. Ich habe gar keine andere Wahl. Wenn ich dort bin, kann ich vielleicht wirklich noch anrufen, er wird es mir nicht übel nehmen. Eher wird er meinen Zusammenbruch für einen weiteren Beweis seiner unverbrüchlichen Freundschaft zu mir nehmen, sofort alles stehen und liegen lassen und alle Hebel in Bewegung setzen, um zu mir zu eilen und mir zu helfen. Und warum auch nicht? Was ist so schlimm daran? Er will mir doch helfen, für mich da sein, wenn auch nicht mehr in Beziehungsliebe verbunden. Wenn es jemanden gibt, der bereit ist, mir auch noch den übelsten Fehltritt zu verzeihen, dann doch wohl er, selbst wenn er endlich erführe, wie sehr ich ihn damals an den Rand der Vernichtung gebracht habe, ohne dass er es geahnt hat. Klaus verzeiht mir alles. Immer.
    Nach dem Abstecher zum Hafen, diesem weiteren letzten Intermezzo, das mich einmal mehr mit der mir noch immer grollenden See konfrontiert, ist das Quedens-Haus schnell erreicht. Der Schlüssel will zuerst nicht ins Schloss, dann verkantet er in dem dünnen Schlitz und will sich nicht drehen lassen, und ich bekomme es mit der Angst zu tun, er könnte mir abbrechen, aber plötzlich macht es Klick, die Tür geht auf und ich falle praktisch mit ihr ins Haus. Die Wärme darin trifft mich wie ein Faustschlag. Jeder einzelne Heizkörper im Haus läuft noch immer auf Hochtouren, ich habe vergessen, sie runterzudrehen, außerdem bin ich total

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