Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cesare Pavese
Vom Netzwerk:
junger Mann mit krausem Bärtchen saß in einer Ecke und plauderte dort manchmal mit dem Zöllner. Er hatte Stefano nie gegrüßt, und wie er kam, so ging er auch, ohne Gaetano Zeit zu seinen anzüglichen Spässen zu geben. Stefano war sich nicht ganz sicher, aber es kam ihm doch so vor, als sei er derjenige, der an dem Nachmittag, als Stefano in Handschellen und mit einem Koffer beladen aus dem kleinen Bahnhof kam und mit seinen Carabinieri in das Rathaus ging, rittlings auf einem Stuhl vor dem Laden des Barbiers gesessen und auf den sonnigen menschenleeren Platz geschaut habe. Seine Ankunf vermochte Stefano sich nicht deutlich ins Gedächtnis zurückzurufen: noch kreisten seine verzweifelte Müdigkeit, die Meeresschwüle, seine schmerzenden Arme und die satten, lustlosen Blicke der Menschen wie in einem Wirbel durch seine Erinnerung, in dem die ihm neuen Gesichter sich im Nu verwischten. Und dann hatte er damals gleich nach dem Meer, den Felsen, den Bäumen und Straßen Ausschau gehalten; und so konnte er sich nicht darüber klar werden, welche Gesichter ihm zugeschaut hatten, als er über den Platz ging. Bald kam es ihm so vor, als sei alles gleichgültig und fast menschenleer gewesen; bald, als hätten viele Menschen, wie die Menge auf einem Jahrmarkt, beieinander gestanden oder sich nach ihm umgewandt. Es war damals Sonntag; und jetzt wußte er, daß sonntags viele Müßiggänger auf diesen Zug warteten.
    Der junge Mann hieß Giannino und machte einen unfreundlichen Eindruck auf ihn. Eines Tages, als er rückwärts am Schanktisch lehnte, zündete er sich eine Zigarette an und sprach Vincenzo an.
    »Was erfährst du denn aus der Zeitung? Haben die Algerier deine Seife schon verbraucht? Haben sie sie als Butter aufs Brot gegessen?«
    »Sie scherzen, Don Giannino, aber wenn ich in Ihrem Alter wäre, würde ich wieder dort hinuntergehen. Eine Goldgrube, das weiße Algerien!« Und Vincenzo küßte seine Fingerspitzen.
    »Wieso weiß, wenn dort alle schwarz sind? Ob er sie am Ende gewaschen hat?« antwortete Giannino, richtete sich vom Schanktisch auf und ging zur Tür. »Vincenzo kehrt nach Algerien zurück, wenn du, Giannino, wieder nach San Leo gehst«, sagte Gaetano. Giannino lächelte geschmeichelt. »Besser, die Frauen laufen einem nach als der Zoll. Je gründlicher die Frauen dich kennen, desto mehr sind sie hinter dir her. Genau wie die Zöllner.«
    Giannino lächelte mit verkniffenem Mund und ging fort.
    Ein paar Minuten später trat auch Stefano auf die Straße hinaus. Er machte sich auf den Weg zum Rathaus, um den Nachmittag hinter sich zu bringen und nach Post zu fragen, als Giannino aus einer Seitenstraße aufauchte.
    »Auf ein Wort, Herr Ingenieur.« Überrascht blieb Stefano stehen.
    »Ich brauche Ihre Hilfe. Verstehen Sie etwas von Häusern? Mein Vater hat ein kleines Landhaus entworfen und dabei die Treppen vergessen. Verstehen Sie etwas von Plänen?«
    »Ich bin Elektrotechniker, und zwar seit kaum einem Jahr«, sagte Stefano lächelnd.
    »Ach was, Sie verstehen sich darauf. Kommen Sie zu uns. Sie können ihn wegen der Beleuchtung beraten. Heute abend?«
    »Abends kann ich nicht«, Stefano lächelte nochmals.
»Freilich. Aber der Wachtmeister ist mein Freund.
Kommen Sie …«
»Lieber nicht. Kommen Sie zu mir.«
    Den ganzen Abend lang lächelte Giannino beflissen und zutunlich im Halbdunkel des Hofes. Man brauchte kein Licht, um seine hellen Zähne zu sehen und seine höfliche Stimme zu vernehmen. Er hatte sich rittlings auf seinen Stuhl gesetzt, und gegen das Licht der Tür verschwamm seine Gestalt in der Nacht, die seine Worte im Rauschen und Dröhnen des Meeres untergehen ließ.
    »Im Zimmer ist es heiß, und es riecht«, sagte Stefano. »Ich habe die Gefängnisgewohnheiten beibehalten. Man kann eine Zelle nicht liebgewinnen. Man kann daraus nicht sein Zimmer machen.«
    »Diese Deckenlampe muß Sie ja blenden: die ist zu grell. Eine Kerze wäre besser.«
    Im Zimmer sah man auf einer Kiste den Koffer stehen, der noch nicht ausgepackt war.
    »Immer aufruchsbereit?« hatte Giannino unter der Tür gefragt.
    »Der steht da, um das Schicksal nicht herauszufordern. Schon morgen kann ein Versetzungsbefehl kommen. Im Handumdrehen. Gefangenschaf oder Verbannung bedeutet nicht etwa hinter Schloß und Riegel sitzen: es bedeutet, von einem Blatt Papier abhängen.« Sie saßen sich gegenüber und schauten einander an. Das Meer plätscherte. Stefano lächelte.
    »Bei uns geltet ihr hier als schmutzig. Ich

Weitere Kostenlose Bücher