Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
1
»Komm, lass uns ein bisschen spazieren gehen.«
Adam deutete auf den sandigen Uferstreifen der Elbe, der sich zu ihrer Rechten wie ein weißes Band am großen Fluss entlangstreckte. Übermütig zog er Monika mit sich dorthin, auch wenn es nur ein paar Schritte von der Uferpromenade entfernt bereits stockdunkel war. Sie schaute auf das sanft dahingleitende Wasser, auf dem soeben ein mächtiges Containerschiff an ihnen vorüber in Richtung Hamburger Hafen steuerte, und genoss die Stille, vor allem jedoch Adams Gesellschaft. Die letzten Stunden waren viel zu schnell vergangen. Im Nachhinein amüsierte sich Monika über die Fluchtgedanken, die sie überfallen hatten, als sie vorhin, ein paar Minuten vor der Zeit, an dem vereinbarten Treffpunkt gestanden und überlegt hatte, ob es nicht besser wäre, wieder von hier zu verschwinden. Doch als kurz darauf ein schlanker, dunkelhaariger Mann mit jungenhaftem Lächeln auf sie zugekommen war, wusste sie sofort, dass heute ihr Glückstag war.
»Darf ich dir helfen?«, hatte Adam ihr wenig später den Mantel abgenommen und sie zu ihrem am Fenster des kleinen Fischrestaurants reservierten Tisch geführt. »Was hältst du von Austern zur Vorspeise? Immerhin ist heute unser erstes Treffen«, sah er sie strahlend an, »und
ich habe gehört, dass die Austern hier richtig gut sein sollen. Auch wenn ich für danach auf jeden Fall für etwas Deftiges bin.«
Sie beide schienen tatsächlich seelenverwandt zu sein, dachte Monika im Laufe des Abends. Denn ganz gleich worüber sie sprachen, herrschte Übereinstimmung zwischen ihnen. Ja, Adam war ihr kein bisschen fremd, und schon seit den ersten E-Mails, die sie einander geschrieben hatten, war es Monika so vorgekommen, als würde sie ihn bereits ihr ganzes Leben lang kennen.
Inzwischen hatten sie sich weit von den Laternen des befestigten Elbwanderweges entfernt, doch Monika fühlte sich wohl, ja geradezu behütet in Adams Gegenwart und hakte sich vertrauensvoll bei ihm unter. Sie war so sehr auf das Gespräch mit ihm konzentriert, dass sie weder die Dunkelheit registrierte noch die Tatsache, dass ihnen schon seit einer Weile kein Spaziergänger mehr entgegengekommen war.
»Vielleicht hättest du dein Gepäck besser im Restaurant abgeben sollen«, meinte Monika mit einem besorgten Blick auf den großen Aluminiumkoffer in seiner linken Hand.
»Stimmt, daran habe ich auch schon gedacht, aber es war mir einfach zu riskant, meine Fotoausrüstung der Obhut irgendeines Kellners zu überlassen. Schließlich schleppe ich ein paar sehr wertvolle Teile mit mir herum.«
»Das heißt, du hast tatsächlich deine Kameras dabei?« Sie tippte auf den Koffer, um sich anschließend zum Spaß in eine mannequinreife Positur zu stellen. »Wie ist es, willst du nicht ein Foto von uns beiden machen?«
»Später vielleicht«, winkte Adam ab und erzählte ihr, dass er den ganzen Tag über auf einem Fotoshooting gewesen und froh war, es gerade noch pünktlich zu ihrer Verabredung geschafft zu haben.
»Das soll natürlich nicht heißen, dass du kein ausgesprochen lohnendes Motiv wärest, aber vielleicht sollten wir zuerst einmal eine kleine Verschnaufpause einlegen und die Aussicht genießen«, schlug er vor und machte vor einer von ein paar Sträuchern geschützten Sandmulde Halt.
»Was meinst du, hier sieht es doch eigentlich ganz gemütlich aus.«
Als Monika sein Lächeln erwiderte und zustimmend nickte, stellte Adam seinen Alukoffer ab. Er zog eine kleine Flasche Moet Et Chandon, eine dünne Plastikplane sowie eine Decke aus ihm heraus, die er so gut wie möglich in der Sandmulde ausbreitete – zuerst die Plane, dann die Decke -, um sich anschließend darauf niederzulassen.
Monika setzte sich neben ihn und warf dabei einen Blick in den geöffneten Koffer, der gerade von den Scheinwerfern eines vorbeifahrenden Schiffs angeleuchtet wurde. Unter einem zur Seite gerutschten Tuch kamen mehrere Zangen zum Vorschein. Einen Gegenstand, der auch nur im Entferntesten mit einer Fotoausrüstung zu tun hatte, konnte sie dagegen nicht entdecken.
Während Monika überlegte, wozu Adam wohl all die Werkzeuge und Seile benötigte, die sich im Koffer befanden, hörte sie neben sich den Korken aus der Flasche ploppen.
»Mist«, schimpfte Adam, »jetzt habe ich doch glatt die
Hälfte des Inhalts auf unsere Decke geschüttet.« Schnell sprang er auf und fing an, die Plastikplane so gut es ging mit einem Lappen trocken zu wischen.
Die dichte Wolkendecke, die den
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